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Kantonale Förderung von Generationenprojekten: Pionierkanton Freiburg zieht positive Bilanz

Generationensolidarität und Zusammenhalt als politisches Ziel? Im Kanton Freiburg ist die Förderung von Solidarität durch Generationenprojekte in der Verfassung festgehalten. Programmleiterin Judith Camenzind-Barbieri blickt auf die ersten sechs Jahre zurück und zieht eine positive Bilanz.

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Foto: «Mémoire vivante de la Vignettaz» - Ein Generationenprojekt, in dem Jung und Alt zusammen die Geschichte des Quartiers wieder aufleben lassen und somit die gemeinsame Identität stärkt.

Durch die finanzielle Unterstützung von Generationenprojekten anerkennen staatliche Stellen die Bedeutung von familienexternen Generationenbeziehungen für den sozialen Zusammenhalt im Hinblick auf den demografischen Wandel. Generationensolidarität als politisches Ziel? Der Kanton Freiburg hat bisher als einziger Kanton eine regelmässige Finanzleistung für Generationenprojekte eingeführt. In der freiburgischen Verfassung ist festgehalten: «Staat und Gemeinden fördern das Verständnis und die Solidarität zwischen den Generationen.» Als Folge dessen wurde 2018 im Massnahmenkatalog des Programms Senior+ für Alterspolitik ein Fördertopf für intergenerationelle Projekte eingeführt. Gesuchsberechtigt sind Freiburger Gemeinden, gemeinnützige Organisationen und Vereine sowie Gruppen von Privatpersonen, die wohnhaft im Kanton Freiburg sind. Die Zuteilung der Unterstützung wird von einer fünfköpfigen Jury entschieden. Kann das Beispiel in anderen Kantonen Schule machen? Wo gab es Hürden? Welche Erfolge wurden verzeichnet? Im Interview blickt Judith Camenzind-Barbieri, Leiterin des Senior+ Programms im Kanton Freiburg, auf sechs Jahre und 66 unterstützte Generationenprojekte zurück. Ihr Fazit? Sie wünscht sich, dass mehr Kantone dem Beispiel Freiburgs folgen, denn es lohnt sich!

Förderung von Generationenprojekten: Diversität, Erfolge und Herausforderungen

 

Seit 2018 gehört der Fördertopf für Generationenprojekte zum Massnahmenkatalog des Senior+ Programms im Kanton Freiburg. Warum wurde er dort und nicht beim Fördertopf für Jugendprojekte angesiedelt?

Wir wollen dem Narrativ entgegenwirken, dass ältere Menschen eine Belastung sind und aufzeigen, dass sie viele wichtige Ressourcen und Kompetenzen für die Gesellschaft mitbringen. Es geht also nicht darum, dass nur ältere Menschen davon profitieren – im Gegenteil. In der Jugendpolitik gibt es Förderprogramme, die sich exklusiv an die Jugend richten. Aber solche Ausschreibungen sind mit viel Aufwand verbunden – es macht also Sinn, die Unterstützung für Generationenprojekte bei Senior+ anzusiedeln.

Unterstützt wurden bis jetzt total 66 Projekte. Welche Projekte waren erfolgreich? Und warum?

Das ist eine schwierige Frage! Die Projekte sind sehr unterschiedlich. Es gibt ganz kleine Projekte, die eine grosse Wirkung erzeugen. Andere werden im grösseren Rahmen, manchmal in mehreren Gemeinden, durchgeführt. Es ist daher schwierig, sie zu vergleichen. Wichtig ist, dass motivierte Leute dahinterstehen, die sie auch tragen. Ein anderer Aspekt für ein erfolgreiches Projekt sind gemeinsame Ziele der Jungen und Älteren. Aus diesem Grund laufen beispielsweise Projekte zum Schutz der Natur sehr gut.

Was hat Sie persönlich begeistert?

Wir haben in den letzten Jahren sehr viele interessante Projekte unterstützen können. Ein aktuelles Beispiel ist das Projekt «Mémoire vivante de la Vignettaz», das von einem Verein des gleichnamigen Quartiers in der Stadt Freiburg ins Leben gerufen wurde. Dabei wurden Bewohnerinnen und Bewohner dazu aufgerufen, alte Fotos und Erinnerungen zu teilen, um die Geschichte des Quartiers aufzuarbeiten. Wie sah es damals aus? Und wie war das Zusammenleben? Diese Fragen sind wahnsinnig wichtig, um eine gemeinsame Identität zu finden. Die Jüngeren haben Fragen gestellt, die Älteren geantwortet. Am Ende wurde daraus eine Ausstellung konzipiert, die jetzt gerade zu sehen ist.

In Granges-Paccot wurde ein ähnliches Projekt realisiert. Die Gemeinde entwickelte sich unglaublich schnell von einem Dorf zu einer industriellen Zone. Da musste sich die Bevölkerung zuerst finden, gerade was Identitätsfragen betrifft. Daraus entstand der Film «Générations». Ein anderes Projekt war der Film «Parlez-moi d’amour», in dem Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen mit Menschen im Pflegeheim über die Liebe sprechen. Dann kam Covid. Wie sich diese Beziehungen da veränderten, wurde auch dargestellt. Das war unglaublich berührend.

Welche Projekte scheiterten und was waren die Gründe dafür?

Covid hat dazu geführt, dass einige Projekte im Sand verlaufen sind. Aber ich war beeindruckt, wie die Organisatorinnen und Organisatoren versucht haben, die Projekte den Umständen anzupassen, und wie sie mit uns in Kontakt geblieben sind. Ein Beispiel war eine Olympiade zwischen verschiedenen Pflegeheimen, die durch Jugendliche begleitet wurde. Sie konnte vor ein paar Wochen schliesslich durchgeführt werden. Andere Projekte sind schlicht auf wenig Interesse gestossen, was jedoch auch dazu gehört. Im Rahmen eines Reportings versuchen wir herauszufinden, woran das lag. Und einige Projekte wurden im Laufe des Prozesses umgestaltet.

Nachhaltige Finanzierung von Generationenprojekten

 

Der Fonds ist lediglich für die Lancierung neuer Projekte vorgesehen und ermöglicht keine langfristige Finanzierung. Wie kann man Projekte nachhaltig wirksam machen?

Die Idee ist es, eine Starthilfe an Projekte zu geben, damit sie später eine dauerhafte Unterstützung bekommen können, beispielsweise durch die Gemeinden. Das hat relativ gut geklappt. Ein Zuschuss des Kantons kann einem Projekt Glaubwürdigkeit verschaffen gegenüber anderen Partnern. So konnten gewisse Projekte später von anderen Instanzen unterstützt werden. Zum Beispiel «Les Charettes!», das kreative und soziale Aktivitäten auf der Strasse organisiert und durch das Netzwerk Caring Communities unterstützt wird. Auch «Un Tour en Tuk-Tuk», ein Fahrdienst von Jungen für Ältere, konnte sich nachhaltig etablieren und finanzieren.

Worauf wird bei der Beurteilung von Gesuchen besonders geachtet?

Besonders achten wir zum Beispiel darauf, wenn etwas für ältere Menschen statt mit ihnen gemacht wird. Die Basis muss das Gemeinsame sein. Weiter muss das Projekt gut abgestützt sein. Wenn ein Projekt nur von einer oder zwei Personen getragen wird und diese mal wegfallen, wird es schwierig. Darum muss die Gemeinde im Vorfeld ihre Unterstützung zusprechen. Wir brauchen jedoch keine professionellen Projektmanagerinnen und -manager. Die Vorhaben müssen auch spontan und zugänglich machbar und durchführbar sein. Gerade kleine Projekte wie ein Abholdienst von Kehricht wirkten oft nachhaltig und haben langfristige Beziehungen zwischen den Generationen geknüpft. Und: Auch ein Projekt, das nur an einem Tag stattfindet, kann nachhaltig sein.

Wie wurde diese Jury zusammengestellt?

Da das Projekt bei Senior+ angesiedelt ist, ist der Rentnerverein in der Jury vertreten, zusätzlich wollten wir jemanden aus dem Jugendamt dabeihaben. Da sich der Fonds an Gemeinden richtet, ist eine Person aus dem Gemeindeverband dabei. Und weil das Reglement sehr detailliert ausgearbeitet ist, ist die letzte Person ein Jurist.

Wie haben die potenziellen Gesuchsberechtigten auf das regelmässige Finanzierungsangebot des Kantons reagiert?

Zuerst haben viele Organisationen Projekte eingereicht. Mittlerweile sind es vermehrt auch Gemeinden, die Gesuche einreichen. Das war ein grosses Ziel. Ich glaube, der Fonds musste sich erst noch herumsprechen und etwas etablieren. Das funktioniert beispielsweise, wenn wir eine Medienmitteilung verschicken und Medien über Projekte berichten. Aber wir müssen die Gemeinden immer mal wieder anstupsen.

Das benötigt viel persönliches Engagement. Haben Sie diese Arbeit unterschätzt?

Ehrlich gesagt, ja. Doch heute ist alles etwas routinierter und weniger aufwändig.

Wie hat sich die Landschaft der Generationenprojekte im Kanton Freiburg entwickelt? Was davon lässt sich auf den Fördertopf zurückführen?

Die Freiburger Gemeinden engagieren sich zunehmend für Generationenprojekte. Auch verschiedene Organisationen und Vereine haben sich gewagt, Projekte auf die Beine zu stellen. Ich bin überzeugt, dass sich das auf den Fördertopf zurückführen lässt.

Einblick in die 66 geförderten Generationenprojekte

Verschaffen Sie sich selbst einen Eindruck davon, wie divers die zahlreichen unterstützten Projekte sind und wie sie auf verschiedenste Weise Generationensolidarität sowie sozialen Zusammenhalt stärken.

Stärkung der Generationensolidarität: Ein Blick in die Zukunft

 

Die kantonale Alterspolitik Senior+ und damit auch der Fördertopf wurde von Anne Claude Demierre initiiert. Wie steht Philippe Demierre, der Nachfolger bei der Direktion für Gesundheit und Soziales, zur Förderung von Generationenprojekten?

Die Unterstützung ist nach wie vor vorhanden. Ich glaube, es ist klar, dass das Projekt für den Kanton wichtig ist und auch eine enorme Strahlkraft hat. Und wir haben schliesslich einen Verfassungsauftrag! Das Programm ist zudem derart verankert und wird unterstützt, was sich im neuen Massnahmenplan widerspiegelt.

Freiburg hat bisher als einziger Kanton eine regelmässige Finanzleistung für Generationenprojekte eingeführt. Woran liegts?

Senior+ und der damit verbundene Massnahmenplan, sowie der Verfassungsauftrag haben uns eine Handhabung gegeben, die andere Kantone vielleicht so noch nicht haben. Aber ich glaube, es wird den Leuten zunehmend bewusst, dass die Stärkung der intergenerationellen Beziehungen einen gesellschaftlich enormen Wert hat. Ich würde es sehr begrüssen, wenn die anderen Kantone nachziehen.

Wie gehts in Fribourg weiter?

Der Fördertopf wird als erfolgreich bewertet und für die nächsten fünf Jahre weitergeführt. Ich glaube, intergenerationelle Projekte werden sich immer mehr etablieren. Einfach weil ein enormes Bedürfnis vorhanden ist. So viele Junge haben kaum Kontakt zu älteren Menschen ausserhalb der Familie. Das wäre für eine Gesellschaft aber so wichtig, denn gerade junge Menschen schätzen diesen Kontakt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir hatten beispielsweise Projekte in Schulen, wo Generationen zusammen gemeinsame Aktivitäten organisierten. Auf einer Orientierungsschule wurden dabei verschiedene Ateliers angeboten. Zum Beispiel gab ein älterer Herr einen Kurs in Patois, dem Freiburger Dialekt. Andere führten Kochateliers durch. Diese Ateliers waren voll ausgebucht und die Jungen erklärten, es beruhige sie enorm zu wissen, dass es Erwachsene gibt, die sie unterstützen und ihnen ihr Wissen weitergeben können.

Judith Camenzind-Barbieri

Judith Camenzind-Barbieri hat an der Universität Freiburg Ethnologie studiert und ist heute als Programmleiterin beim Kanton Freiburg für das Projekt «Senior +» verantwortlich. Damit möchte der Kanton Freiburg die Kompetenzen der Seniorinnen und Senioren in unserer Gesellschaft aufwerten und ihnen die Möglichkeit geben, so lange wie möglich ein selbstständiges Leben zu führen sowie die Generationensolidarität zu stärken.

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