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Offenheit & Akzeptanz: Alters-Gap bei Homosexualität & LGBT

Ein Beitrag von Anne-Sophie Keller

Generationen-Politik & -Dialog , Partizipation, Integration & Inklusion

18. August 2022

Queerness und Generationen: Ältere Menschen zeigen sich markant verschlossener gegenüber der LGBT-Thematik. Woher kommt dieser Generationen-Gap? Und wie kann man Brücken schlagen? Eine soziologische Spurensuche.

Ältere Generation unterstützt LGBT-Anliegen

Die verschiedenen Generationen und ihr Umgang mit der LGBT-Thematik

Kaum eine Bewegung hat in den letzten zehn Jahren so viel erreicht wie die der LGBTQIA+-Aktivist*innen. Und wie jede erfolgreiche Bewegung steht sie auch unter Beschuss. Es beginnt mit dem umständlichen und sich scheinbar endlos um weitere Buchstaben erweiternden Namen: LGBTQIA+ steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere, intergeschlechtliche, asexuelle und weitere Menschen, die sich nicht dem binären Geschlechtsmodell zuordnen. Auf Facebook können Benutzer*innen mittlerweile zwischen 73 Geschlechtsidentitäten auswählen.

LGBT-Was?

Verstehen Sie bei LGBTI höchstens die Hälfte? Für den Durchblick weisen wir gerne auf informative Beiträge hin:

Während junge Generationen mit diesen Begriffen offen umgehen, verlieren ältere Menschen zunehmend den Anschluss. Sogar ältere Queers benutzen tendenziell weniger Begriffe für sich. Eine 2015 vom britischen Forschungsinstitut YouGov durchgeführte Studie zeigt: bei den 18- bis 24-jährigen queeren Brit*innen bezeichnen sich 52 Prozent als hetero- oder homosexuell und 43 Prozent als bisexuell. Bei den Ü60 sind es fast 90 Prozent, die sich lediglich als hetero- und homosexuell bezeichnen. Die Unterscheidung ist also definierter, je jünger die Menschen sind.

Akzeptanz von queeren Menschen: Ein eindeutiger Alters-Gap

Die Sprach-Debatte widerspiegelt unterschiedliche Grundhaltungen: Jüngere Menschen stehen dem Thema Queerness grundsätzlich offener gegenüber als ältere Generationen. Dies zeigen sowohl internationale wie auch nationale Zahlen. Die OECD-Studie «Society at a Glance» (2019) untersuchte beispielsweise die Akzeptanz von queeren Menschen innerhalb von 36 Mitgliedstaaten sowie acht weiteren Ländern wie China und Saudi Arabien. Die 15- bis 29-Jährigen bewerteten Homosexualität auf einer Skala von 1 (nie vertretbar) bis 10 (immer vertretbar) im Schnitt mit einer sechs; die Ü50-Befragten mit einer guten vier.

Etwas näher an der Schweiz, in Deutschland, gab die Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2016 eine repräsentative Bevölkerungsumfrage zur Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Auftrag. Junge Menschen unter 30 Jahren waren die Gruppe mit der geringsten homo- und transphoben Einstellung (14 bzw. 16 Prozent). Unter den über 60-Jährigen zeigten besonders viele Menschen Ressentiments gegenüber Homo- und Trans-Personen (33 bzw. 29 Prozent). Die Studie wurde als telefonische Bevölkerungsumfrage mit rund 2000 Befragten ab einem Alter von 16 Jahren konzipiert.

In der Schweiz zeichnet die Vox-Analyse der Abstimmungsresultate zur Ehe für alle ein aussagekräftiges Bild. 80 Prozent der Wähler*innen unter 30 sagten Ja, aber nur 40 Prozent der Menschen über 70 befürworteten die Vorlage.

Mehr Aufklärung, mehr queere Vorbilder für jüngere Generationen

«Es gibt eine Tendenz, dass queere Menschen bei jüngeren Generationen eine höhere Akzeptanz erfahren», bestätigt die Geschlechterforscherin Laura Eigenmann (34) der Universität Basel. «Junge sind mit diesen Themen aufgewachsen und haben ein grösseres Wissen darüber. Heute gibt es eine vielfältigere Repräsentation und ausgewogenere Informationen zur Thematik.»

Die Aufklärung nimmt dabei rasant zu: Für eine 2020 publizierte Studie der European Union Agency for Fundamental Rights wurden 140’000 queere Teilnehmenden aus der EU sowie aus Nordmazedonien und Serbien befragt. Knapp 40 Prozent der 18- bis 24-Jährigen gaben an, dass das Thema LGBT in ihrer Schule adressiert wurde. Bei den 40- bis 54-Jährigen waren es erst knapp zehn Prozent.

Tendenziell sinkt mit jedem Kontakt mit dem Thema die Homophobie – und je toleranter die Gesellschaft wird, desto mehr Menschen outen sich. «Das ist eine positive Aufwärtsspirale», hält Eigenmann fest. Sie betont die Wichtigkeit der Sichtbarkeit: «Die Generation unserer Eltern kannten vielleicht Elton John oder Hella von Sinnen. Aber da es nur eine Handvoll öffentlich geouteter Personen gab, konnten die auch nur ein eingeschränktes Bild von Homosexualität vermitteln.»

Die queeren Vorbilder von heute sind hingegen vielfältig: Es gibt Corine Mauch als lesbische Zürcher Stadtpräsidentin, mit Dominique Rinderknecht eine bisexuelle Ex-Miss-Schweiz und mit Pascal Erlachner einen schwulen Fussball-Schiedsrichter. Sven Epiney hat als SRF-Moderator Karriere gemacht und mit Curdin Orlik hat mittlerweile sogar der ur-schweizerische Schwinger-Sport ein queeres Aushängeschild.

Weitere Gräben bestehen

Laura Eigenmann beobachtet bei ihren Studierenden einen natürlichen Umgang mit Begriffen wie transgender, pansexuell oder auch nonbinär. «Als ich in deren Alter war, gab es vielleicht Lesben, Schwule oder Bisexuelle. In den letzten Jahren hat sich enorm viel getan diesbezüglich», stellt die Soziologin fest. Kommt nun alles gut? So ganz pauschal könne man diese Aussage nicht fällen: «Wenn die Studierenden in ihre alten Schulen zurückgehen, um dort Aufklärungsarbeit zu leisten, treffen sie auf unterschiedliche Grade an Toleranz.» Das habe mitunter mit dem Stadt-Land-Graben zu tun, manchmal aber auch mit einer besonders engagierten Lehrperson oder einer Gruppe selbstbewusster queerer Schüler*innen, die sich zusammengefunden hatten.

Laut der Genfer Soziologin Caroline Dayer gibt es in der Schweiz punkto Homophobie auch einen Röstigraben. Denn: Die Romandie orientiert sich kulturell an Frankreich. «Dort übt die mit der katholischen Kirche eng verbundene konservative Rechte auf die Gesellschaft erheblichen Einfluss aus», sagte Dayer 2019 gegenüber dem «TagesAnzeiger». Als in Frankreich über die Ehe für alle abgestimmt wurde, kam es landesweit zu heftigen Protesten – in Deutschland unvorstellbar.

Offenheit und Homosexualität: Was ist passiert mit den wilden 68ern?

Doch warum ist die Generation der 68er nicht offener? Ausgerechnet die Menschen, die die Errungenschaften der Hippiezeit vorangetrieben haben? «Damals herrschte zwar das Kredo der freien Liebe – aber Homosexualität war dabei noch kein Thema», präzisiert Eigenmann. Mit dem Gay Liberation Movement wurden zwar viele neue aktivistische Gruppen ins Leben gerufen; die Zahl and Gay-Bars und -Clubs explodierte, aber die Diskriminierung wurde deswegen nicht kleiner. «Die Errungenschaften wurden nicht institutionell verankert. Gesellschaftliche Veränderungen können sehr schnell rückgängig gemacht werden, wenn sie nicht auch in Gesetzen verankert werden.»

Zudem musste auch die queere Bewegung massive Rückschläge einstecken. In England verbot Premierministerin Margaret Thatcher 1988 mit der Gesetzeserweiterung «Section 28» einen öffentlichen, positiven Diskurs über Homosexualität. Als weiteren Backlash nennt Laura Eigenmann die Aids-Krise: «Das Thema Schwulsein wurde mit Tod verbunden; viele Eltern hatten Angst, dass ihre Kinder sterben würden. Das prägte auch hier.»

Das Thema LGBT – oder derzeit auch die Klimakrise – machen vermehrt bewusst, wie fest Menschen durch ihr Umfeld und ihre Geschichten geprägt sind. Eine zusätzliche Spaltung zwischen den Generationen wird es dadurch aber nicht geben. Und: «Wenn beide Generationen beim Austausch offen und geduldig sein können, ist auch eine gemeinsame Gesprächsbasis möglich.» Es braucht – wie bei jedem wichtigen Thema – einfach eine grosse Menge Empathie und Toleranz.

Wie können wir Brücken schlagen? Diskutieren Sie mit!

Wie nehmen Sie den Austausch zur LGBT-Thematik zwischen den Generationen wahr? Wie schaffen wir einen konstruktiven Diskurs über Generationen hinweg? Wir haben eine begleitende Diskussion zum Blog gestartet. Ihre Meinung interessiert uns: Diskutieren Sie mit!

Informationen und weiterführende Links

  • Die LGBT-Community im Generationengespräch (Tagesanzeiger)
  • Studie vom Forschungsinstitut YouGov zur sexuellen Orientierung von queeren Brit*innen (2015)
  • Die OECD-Studie «Society at a Glance» (2019)
  • Erhebung zur Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2016)
  • Vox-Analyse der Abstimmungsresultate zur Ehe für alle (2021)
  • Die Milchjugend – Die Jugendorganisation für lesbische, schwule, bi, trans, inter und asexuelle Jugendliche und für alle dazwischen und ausserhalb.
  • Du bist Du: Beratungs- und Infoplattform für junge Menschen und Fachpersonen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. du-bist-du bietet Peer-Beratung, sensibilisiert die Gesellschaft durch Events, Kampagnen und aufsuchender Jugendarbeit und coacht Fachpersonen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.
  • Der Verein queerAltern fördert soziales Leben von alternden queeren Menschen, engagiert sich für queeres Wohnen, queer-gerechte Pflege und Hilfestellungen, unterstützt queere Politik und organisiert Veranstaltungen
  • fels (Freundinnen, Freunde und Eltern von Lesben und Schwulen) setzt sich ein für die gesellschaftliche Akzeptanz der lesbischen und schwulen Töchter und Söhne, Angehörigen, Freundinnen und Freunde.
  • LGBTIQ-Helpline: Beratungsangebot für alle Menschen, die Fragen und Anliegen zum LGBTIQ-Lebensumfeld haben – egal, welche sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sie selbst haben.

Anne-Sophie Keller

Anne-Sophie Keller (*1989) ist in Bern geboren und in Thun aufgewachsen. Seit 2010 arbeitet sie in Zürich als Gesellschaftsjournalistin, Kolumnistin und Autorin. 2017 erschien ihr erstes Buch, eine feministische Bestandsaufnahme über Iris von Roten, im Xanthippe Verlag. Seit 2022 arbeitet sie bei alliance F, dem Dachverband der Schweizer Frauenorganisationen.

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