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Eine Petition fordert eine diskriminierungsfreie Schweiz für jedes Alter

Ein Beitrag von Monika Blau

Altersdiskriminierung , Generationen-Politik & -Dialog , Bildung

11. Dezember 2025

Altersdiskriminierung erhält in der Schweiz noch immer zu wenig Aufmerksamkeit. Mit ihrer aktuellen Petition fordert die VASOS eine diskriminierungsfreie Gesellschaft für alle Generationen und setzt damit ein klares Zeichen. Hans Peter Graf, Gerontologe und Altersaktivist, ordnet im Interview die Petition und die politische Debatte rund um Altersdiskriminierung in der Schweiz ein.

Wie Alt, So Jung

Wie alt, so jung - Mele Brink

Unter Altersdiskriminierung wird heute die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Lebensalters verstanden. Eine Diskriminierung kann deshalb von der Kinderzeit bis ins hohe Alter erlitten werden und betrifft nicht nur ältere Menschen, sondern auch Kinder, Jugendliche und jüngere Erwachsene. Dieser Paradigmenwechsel zeichnet sich zunehmend in der politischen Diskussion um den Schutz und die Bekämpfung von Altersdiskriminierung ab. So fordert die Seniorenorganisation VASOS folgerichtig in der aktuellen Petition eine «diskriminierungsfreie Gesellschaft aller Generationen» und gesteht damit anderen Altersgruppen gleichfalls zu, von Altersdiskriminierung betroffen zu sein. Hans Peter Graf, «Altersaktivist und Gerontologe im Unruhestand» der FAAG Fondation in Genf verfolgt engagiert die politische Diskussion. Im Interview fragten wir nach seiner persönlichen Einordnung.

Wie erklären Sie sich diese bemerkenswerte neue Entwicklung?

In meinen Augen besteht das Bemerkenswerteste in der aktuellen politischen Entwicklung darin, dass die VASOS, die Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen der Schweiz, erst jetzt die mit dem Alter verbundene Diskriminierung wieder vermehrt thematisiert. Dies erkläre ich mir damit, dass viele Ältere sich selbst gar noch nicht als «alt» betrachten. Zudem ist im deutschen Sprachraum der Begriff «ageism» bzw. «âgisme» im Gegensatz etwa zu «Sexismus» oder «Rassismus» nicht geläufig. Altersdiskriminierung ist in der politischen Diskussion der Schweiz gleichfalls noch kaum ein Thema. Zwar postuliert der Artikel 8, Absatz 2 der Bundesverfassung: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung». Im Unterschied zu anderen Diskriminierungsgründen wie der sogenannten «Rasse», des Geschlechts oder der Behinderung – kennen wir hierzulande betreffend des Alters weder ausführende Gesetze für die Umsetzung des Verfassungsgebots noch besteht eine rechtlich und strukturell hinreichende Integration von internationalen Rechtsabkommen wie die UN-Menschenrechtskonvention, die UN-Behindertenrechtskonvention oder die UN-Kinderrechtskonvention in die nationale Politik der Schweiz.

In Kürze: 

  • Petition gegen Altersdiskriminierung: Die Seniorenorganisation Vasos fordert in ihrer Petition «Rechtlicher Schutz vor Altersdiskriminierung» von 2025 eine griffigere Gesetzgebung und einen nationalen Aktionsplan. Eine geforderte Massnahme ist eine zentrale Fach- und Beratungsstelle des Bundes, die Bund und Kantone bei der Förderung einer altersfreundlichen und für alle Altersgruppen diskriminierungsfreien Gesellschaft unterstützt.
  • Paradigmenwechsel: Die Petition setzt sich für eine diskriminierungsfreie Schweiz für alle Altersgruppen ein und setzt dabei ein wichtiges Signal, indem anerkannt wird, dass von der Diskriminierung aufgrund des Lebensalters alle Generationen betroffen sind.
  • Altersdiskriminierung politisch vernachlässigt: Altersdiskriminierung wird seit 2000 als einer der Diskriminierungsgründe in der Schweizer Bundesverfassung genannt. Mit dem Beitritt zu verschiedenen internationalen Abkommen hat sich die Schweiz zudem verpflichtet, Menschen vor Diskriminierung aufgrund ihres Lebensalters zu schützen. Die Kinderrechtskonvention hat die Schweiz bereits 1997 unterzeichnet. Aktuell lehnt der Bundesrat jedoch die Ausarbeitung einer neuen, spezifischen UN-Konvention für die Rechte älterer Menschen ab.

Nun hat allerdings die Resolution HRC/RES/58/13 des UN-Menschenrechtsrates am 3. April 2025 dies auf die Tagesordnung gebracht. Sie fordert die Schaffung einer offenen zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe, mit dem Auftrag, einen Entwurf für ein rechtsverbindliches internationales Instrument zu den Menschenrechten älterer Menschen auszuarbeiten und ihm vorzulegen. Bezeichnenderweise fand dieser Schritt in der schweizerischen Öffentlichkeit praktisch kein Echo. Dies gilt auch für die Antwort des Bundesrats vom 17. März 2025 auf eine entsprechende Frage von Nationalrat Nicolas Walder: «Die Schweiz setzt sich für die Achtung und Förderung der Rechte älterer Menschen ein. Der Bundesrat befürwortet jedoch nicht die Ausarbeitung eines neuen internationalen Vertrags über die Menschenrechte älterer Menschen. Er ist der Ansicht, dass es in diesem Bereich keine normativen Lücken gibt …».

Wenigstens hat die VASOS den Ball aufgegriffen und anfangs Juni 2025 in einem öffentlichen Appel den Bundesrat aufgefordert, sich an der Ausarbeitung der neuen UN-Konvention zu beteiligen. In der Folge hat dann die VASOS am 17. Oktober anlässlich ihres 35. Jahrestags die Petition «Rechtlicher Schutz vor Altersdiskriminierung – Für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft aller Generationen» lanciert, dies im Interesse einer solidarischen Gesellschaft, die alle Altersgruppen schützt und achtet.

Wie bereits der «Global Report on Ageism» der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2021 betonte, betrifft die Diskriminierung auf Grundlage des Lebensalters nicht nur die Älteren, sondern auch die Jüngeren! Die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung aus dem März 2025 zu Erfahrungen mit Altersdiskriminierung in Deutschland der deutschen Antidiskriminierungsstelle illustrieren dies: 45 % der Befragten geben an, schon einmal Altersdiskriminierung erlebt zu haben. 52 % der 16- bis 44-Jährigen, gegenüber 35% der 65+ haben diese Erfahrung gemacht. Die Unterschiede werden unter anderem mit einer stärkeren Sensibilität gegenüber gesellschaftlichen und persönlichen Ungleichbehandlungen unter den jüngeren Altersgruppen erklärt.

Was erhoffen Sie sich aus diesem Interessensverbund aller Altersgruppen?

Wenn sich das Bewusstsein in der Gesellschaft und in der Politik durchsetzt, dass nicht nur alte Menschen allein, sondern alle Altersgruppen von einer Diskriminierung aufgrund ihres Lebensalters betroffen sein können, dann erhöht sich damit auch die Chance, dass der Schutz davor von viel mehr Betroffenen eingefordert werden wird.

Wie bereits in der weitgehend von Älteren und Jüngeren geteilten Sensibilität und Mobilisierung gegen den Klimawandel, schafft sie Kitt für ein gemeinsames Handelns von Jung und Alt. Sie illustriert, dass dies, wie auch weitere Anliegen einer heutigen Alterspolitik – denken wir an den schwellenlosen Zugang zum öffentlich Verkehr oder zu Wohnungen – für alle Lebensalter von Interesse ist. Sie verweigert sich dann auch politischen Bestrebungen einen Generationenkonflikt anzuheizen, wie dies z.B. in der AHV-Rentendebatte oder im Vorschlag das Wahlrecht von älteren Menschen einzuschränken, der Fall ist. Man kann nur hoffen, dass solche generationenverbindenden Erfahrungen auch bei konservativen Jungparteien zu einem Umdenken führt.

«Nur durch gegenseitigen Respekt und Solidarität zwischen den Generationen bleibt unsere Gesellschaft lebendig und zukunftsfähig.»

Bea Heim

VASOS-Präsidentin

Zum Schluss weg von der politischen Dimension: Was können wir als Individuen tun?  

Aus meiner Sicht besteht das Allerwichtigste in der Überwindung von mit Lebensalter bzw. chronologischen Lebensphasen verbunden abwertenden Vorstellungen in Denken und Handeln – und dies angefangen beim eigenen Selbstbild!

Bundesrat Alain Berset hat dies anlässlich der Nationalen Konferenz «Gesundheit 2030» im Februar 2020 – kurz bevor er alle über 65-Jährigen als eine für Covid besonders gefährdete Gruppe in die Quarantäne «versetzte» – sehr gut formuliert: «… Unser Bild vom Alter ist in Stereotypen gefangen. … Es ist nicht unerheblich, welche Bilder vom Alter wir haben. Altersbilder haben einen direkten Einfluss darauf, was jüngere Menschen vom Alter erwarten und was sich ältere Menschen selbst zutrauen. Viele der gängigen Altersbilder entspringen negativen Annahmen. Sie gehen davon aus, dass Älterwerden einhergeht mit abnehmender körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit und ein Leben in Abhängigkeit bedeutet. Dieses Bild ist so undifferenziert wie dasjenige der fitten Alten, das uns die Werbung gerne vorspiegelt».

Sich selbst wie auch andern etwas realistisch zuzutrauen, ist eine wichtige Vorbedingung für Selbstwirksamkeit für alle Generationen und somit für deren selbstverantwortliches gesundes Verhalten und Handeln als Pfeiler der Gesellschaft. Dies setzt voraus, dem «Alter/den Alten» wie auch der «Jugend/den Jungen» in ihrer jeweiligen Diversität ein vorurteilloses Interesse entgegenzubringen, sich über ihre Realitäten ins Bild zu setzen und generationenübergreifend seine Mitmenschen besser kennen und schätzen zu lernen: Wie leben junge wie auch alte Menschen heute? Was sind ihre Lebensbedingungen, Herausforderungen, Leistungsfähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse? Was können wir zusammen erreichen? Ein solches Wissen und eine solche Erfahrung erlaubt es hoffentlich, noch allzu verbreitete Ansichten wie «Ich bin zu alt / ihr seid zu jung für das» zu überwinden.

Weiterführende Literatur

Illustration

Hans Peter Graf

Hans Peter Graf, Dr sc.pol., im Unruhestand, u.a. Mitglied des Stiftungsrat der FAAG- Fondation pour la Formation des Aînées et des Aînés de Genève und des Vorstands von GERONTOLOGIE CH, Delegierter FAAG in VASOS, Mitglied NGO Committee on Ageing, Geneva, Switzerland.

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