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Altersbilder: Widersprüchlich und doch allgegenwärtig

Ein Beitrag von Anne-Sophie Catherine Keller

Altersdiskriminierung , Wissenschaft & Generationenforschung

4. Juni 2025

Sture Alte und faule Junge? Prof. Dr. Klaus Rothermund erklärt im Interview, warum sich Altersbilder trotz vieler Widersprüchlichkeiten so hartnäckig halten, welche Rolle gesellschaftliche Nützlichkeitserwartungen und kulturelle Unterscheide dabei spielen und warum wir uns mit diesen Bildern letztlich selbst schaden.

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Sieg für alle Generationen - Urteilsverkündung KlimaSeniorinnen Schweiz am EMGR © Miriam Künzli / Greenpeace

In unserer Gesellschaft existieren zahlreiche Altersbilder – sowohl gegenüber älteren als auch jüngeren Menschen. Warum halten sich gerade diese negativen Vorstellungen so hartnäckig?
Wir erwerben die Vorstellungen des Alters meistens dann, wenn wir selbst noch nicht alt sind. Die Motivation, sich gegen negative Altersbilder zu wehren, ist also noch nicht vorhanden. Auch später neigen ältere Menschen dazu, sich von der Gruppe der «Alten» abzugrenzen. Im Stile von: «So bin ich ja noch nicht! Also bin ich auch nicht alt.» All das aber rächt sich später, wenn man diese Bilder verinnerlicht hat und auf das eigene Leben anwendet. Zudem hängen Altersbilder mit Erwartungen oder Forderungen zusammen. Wir glauben, dass junge Menschen aufmüpfig sind – daraus ergibt sich die Forderung, dass sie sich respektvoller verhalten sollten.
Altersbilder sind oft widersprüchlich: Ältere gelten einerseits als starr und unflexibel, andererseits als warmherzig und gelassen. Warum funktioniert das?
Das liegt am Kontext: Wir wenden diese Vorstellungen ja in unterschiedlichen Situationen an. An der Kasse stellen Sie sich nicht hinter die ältere Frau, aber auf dem Spielplatz sieht diese Person fürsorglich und warmherzig aus. Diese Bilder widersprechen sich nicht direkt, weil sie nebeneinander existieren.
Warum fällt es so schwer, gesellschaftlich konstruierte Altersbilder zu hinterfragen?
Stereotype aufzubrechen, braucht Zeit. Zudem gibt es in unsicheren Zeiten eine Tendenz, auf gewohnte Bilder zurückzufallen. Man kann jedoch Trends wie eine Entwicklung zum «aktiven Altern» ausmachen. Das hat auch politische Gründe: Wir wollen ältere Menschen dazu aktivieren, länger zu arbeiten, um die Sozialsysteme zu entlasten.

In Kürze:

  • Früh gelernt: Altersbilder werden meist schon in jungen Jahren verinnerlicht – und später auf das eigene Altern angewendet. Was wir über andere Altersgruppen denken, prägt langfristig unser Selbstbild.
  • Altersbilder sind «nützlich»: Altersbilder entstehen nicht im luftleeren Raum – sie spiegeln gesellschaftliche Erwartungen darüber, wie sich Menschen im «jungen» oder «hohen» Alter verhalten sollen (oder eben nicht). Sie strukturieren soziale Rollen und dienen oft als Orientierungsrahmen.
  • Widersprüchlich und trotzdem wirksam: Altersbilder können gleichzeitig negativ und positiv sein – etwa stur und warmherzig. Gerade ihre Widersprüchlichkeit macht sie so stabil: Sie sind kontextabhängig und flexibel einsetzbar – und damit besonders resistent gegen Veränderung.
  • Medien als Katalysator: Medien prägen Altersbilder stark, indem sie oft einseitige oder extreme Darstellungen zeigen. Dadurch werden Stereotype verstärkt, während eine repräsentative und vielfältige Darstellung des Alters fehlt.
Wer profitiert von diesen normativen Altersbildern?
Ich glaube nicht, dass da einzelne Personen profitieren. Ältere Menschen leisten ja auch ihren Beitrag dazu, dass sich Altersbilder stabilisieren – zum Beispiel als Entschuldigung oder Grund, Verantwortung abzugeben und als Schutz vor Überforderung. Gleichzeitig brauchen wir gesellschaftlich akzeptierte Vorstellungen, was ein «gutes Alter» bedeutet. Sie geben Orientierung.
Altersgrenzen wie Rentenalter, Wahlrecht oder medizinische Leistungen sind gesetzlich festgelegt – aber wer entscheidet eigentlich darüber, was als jung oder alt gilt?
Ein Teil dieser Altersgrenzen sind tatsächlich gesetzlich festgeschrieben und institutionalisiert. Es gibt aber auch solche, die sozial konstruiert sind. Ich ging mal in einen Club und der Türsteher sagte hinter meinem Rücken: «Jetzt kommen die schon zum Sterben hierher!»
Autsch! Vielleicht hätten Sie in Spanien mehr Glück gehabt? Dort wird man laut Studien erst mit 75 als alt betrachtet, in Saudi-Arabien jedoch schon mit 55. Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?
Weil diese Grenze auch mit kulturellen Rahmenbedingungen zu tun hat: In den USA definiert man sich über die Karriere, in anderen Ländern über die Position in der Familie. Im Arbeitskontext wird man früher als alt wahrgenommen als im Familienkontext – so entstehen unterschiedliche Bewertungen. Und: Je älter man wird, desto weiter nach oben verschiebt sich die Grenze, was man selbst als alt betrachtet. Das Rentenalter gilt jedoch als grosses Indiz für die Vorstellung, wer alt ist.
Das Rentenalter schwankt jedoch – in Deutschland war es mal bei 70 und dann bei 63; in der Schweiz stieg kürzlich das Frauenrentenalter. Was sagt das über die Wandelbarkeit von Altersgrenzen aus?
Dass sie sich nach gesellschaftlichen Herausforderungen richten. Bei hoher Jugendarbeitslosigkeit versucht man, die Altersgrenzen runterzusetzen und der nachwachsenden Generation Platz zu bieten; im aktuellen demografischen Wandel geschieht eine gegenteilige Entwicklung. Es geht also darum, eine Balance zu finden.
Warum spielt das chronologische Alter weiterhin so eine grosse Rolle, obwohl biologische oder psychische Unterschiede im Alter zunehmen?
Weil man das biologische Alter manipulieren kann. Wir wollen ja nicht, dass die Leute anfangen zu trinken und zu rauchen, damit sie früher in den Ruhestand gehen können. Früher oder später wird das jedoch kommen: Bei einer Frühpensionierung sind ärztliche Guthaben ja bereits Realität.
Warum wird das mittlere Erwachsenenalter (30–55) in Altersbildern kaum thematisiert?
Vermutlich weil sich die Altersbilder auf die Lebensphasen fokussieren, in denen Übergänge und Veränderungen stattfinden. Wenn sich Zugehörigkeiten, Rollen, Fähigkeiten oder Interessen verändern. In der mittleren Phase ist vieles stabilisiert. Aber es gibt ja durchaus auch in diesem Alter Massstäbe – etwa in Bezug auf Familienplanung oder Karriere.
Wie wirken sich verinnerlichte Altersstereotype auf die persönliche Entwicklung aus?
Diese Vorstellungen beeinflussen unser Selbstbild und auch unser Verhalten. Was man in der Jugend über das Alter denkt, überträgt man später auf sich selbst. Sie wirken also wie selbsterfüllende Prophezeiungen. Wenn man jung ist und mit einem Kater aufwacht, ist es der Beweis einer tollen Party. Später denkt man: «Das ist nichts mehr für mich, das ertrage ich nicht mehr.» Also geht man diesem Kontext aus dem Weg.

Was ist mit Jugendbildern?

Altersbilder betreffen nicht nur ältere Menschen, sondern auch Kinder und Jugendliche.

Jugendbilder prägen, wie wir junge Menschen wahrnehmen und wie sie sich selbst sehen. Auch sie sind oft widersprüchlich und können sowohl positiv als auch negativ besetzt sein. Wie bei Altersstereotypen führen diese Vorstellungen zu Ausgrenzung und Vorurteilen. Ein bewusster Umgang und kritische Reflexion aller Altersbilder – ob jung, alt oder dazwischen – sind wichtig, um gegenseitiges Verständnis und respektvollen Dialog zu fördern.

Fokusthema Altersdiskriminierung

Altersdiskriminierung betrifft Menschen jeden Alters und begegnet uns oft ganz unbemerkt im Alltag. Erfahren Sie, warum wir uns gegen Altersdiskriminierung einsetzen, wie Generationenprojekte Vorurteile abbauen und ein gemeinsames Verständnis über Altersgrenzen hinweg fördern.

Wie lässt sich dieser Kreislauf der Internalisierung durchbrechen?
Altersbilder sind keine Schicksale, denen man einfach ausgeliefert ist. Man kann durch eigene Erfahrungen und eine kritische Reflexion der eigenen Vorstellungen seine Altersbilder anpassen: Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, erkennt man, dass das Alter und Altern wesentlich differenzierter ist, als es das Stereotyp nahelegt. Es geht ja dabei aber nicht darum, das Alter zu leugnen, sondern eine ausgewogene Vorstellung zu entwickeln, Verletzlichkeiten nicht zu leugnen, aber auch Chancen und Potenziale erkennen. Das muss man aber auch wollen.
Inwiefern prägen Medien unsere Altersbilder?
Medien fokussieren oft auf Extreme. Und das verfestigt Stereotype. Vulnerable Situationen werden überrepräsentiert, zum Beispiel der Pflegenotstand, Demenz oder Einsamkeit im Alter. Diese Themen sind medienwirksam, weil sie Aufmerksamkeit erregen. Auch die sogenannten Super-Ager, die diesen Stereotypen trotzen, sind überrepräsentiert. Es gibt also keine repräsentative Darstellung der Unterschiedlichkeit des tatsächlichen Alters.
Stichwort Nuancen: Warum wird innerhalb der älteren Generation zwischen den «jungen Alten» und den «alten Alten» unterschieden?
Vor etwa 50 Jahren hat der Psychologe Peter Laslett den Begriff des dritten Alters geprägt. Das war eine Errungenschaft und ein Fortschritt gegenüber der früheren Vorstellung, im Alter sei das Leben vorbei. Laslett betonte das aktive Alter, in dem man noch über Ressourcen verfügt und sich engagieren kann.
Welche Interessen stehen hinter der Förderung des aktiven Alters?
Natürlich gibt es Politik und Wirtschaft, die daraus Kapital schlagen möchten. Oder gesellschaftliche Erwartungen bezüglich der Nutzbarkeit. Aber auch ältere Menschen selbst profitieren von der Vorstellung des aktiven Alters, weil sie als erstrebenswerter gilt und das Gefühl der Zugehörigkeit stärkt. Aus wissenschaftlicher Perspektive gibt es eine biologische Grundlage für eine Unterscheidung zwischen dem dritten oder vierten Lebensalter, weil wir uns das aktive Alter unter anderem durch eine gute medizinische Versorgung erarbeitet haben. Aber irgendwann treten körperliche oder geistige Verluste ein, die zu einer Abhängigkeit führen. Das können wir nicht verhindern oder unendlich aufschieben. Die Unterscheidung ist also ein Wechselspiel vieler Faktoren und nicht nur gesellschaftliche Konstruktion.

«Auch positive Altersbilder können diskriminierend wirken.»

Was kann die Gerontopsychologie konkret beitragen, um differenziertere Altersbilder zu etablieren?
Sie schafft mit Studien, Medienbeiträgen oder Vorträgen ein Bewusstsein für die Komplexität und Reichhaltigkeit des Alters. Und sie weist auf Altersdiskriminierung hin – ähnlich wie es die Genderforschung über Jahrzehnte gemacht hat. In Deutschland etwa erstellt eine Kommission im Auftrag der Bundesregierung regelmässig einen Bericht über die Situation älterer Menschen. Die Politik muss dann Stellung beziehen und die Forderungen in der politischen Agenda umsetzen. Da muss man als Forscher mal etwas raus aus dem Elfenbeinturm und sich auf die Diskussionen mit der Gesellschaft einlassen. Das gibt dann aber durchaus Resonanz in der Öffentlichkeit. Effektiver Wandel ist jedoch ein langwieriger Prozess, weil Altersbilder tief verankert sind – oft selbst bei Menschen, die gegenüber anderen Diskriminierungsformen sensibilisiert sind. Sie sehen die Älteren als Bremse für den Fortschritt.
Statistisch gesehen gibt es ja durchaus Unterschiede in Haltungen, etwa zur Gleichstellung oder Diversität.
Natürlich. Aber ist das ein hinreichendes Argument, dass man sagt, die Alten müssen jetzt zurücktreten? Man macht es sich sehr einfach, wenn man die Alten als homogenen Klumpen bezeichnet.
Das Engagement der Klimaseniorinnen oder Omas gegen Rechts wird oft belächelt oder sogar abgewertet. Welche Rolle spielt das Geschlecht in der Bewertung von Alter – insbesondere bei politischer Teilhabe oder öffentlichem Engagement?
Die Rolle des Geschlechts im Alter wurde prominent von der US-amerikanischen Soziologin Susan Sontag in den 70ern benannt. Sie schrieb einen vielbeachteten Artikel über die doppelten Bewertungsmassstäbe, die man bei alten Frauen und alten Männern anlegt. Sie sagte, bei Frauen gehe es primär um Attraktivität und darum verliere man an Sichtbarkeit, wenn man nicht mehr als attraktiv gilt. Bei Männern hingegen zählen Einfluss und Macht.
Hier treffen also Geschlechter- und Altersbilder zusammen.
Genau. Die Vorstellung der lieben Oma zuhause gilt ja als sympathisch. Dieses eigentlich positive Altersbild wirkt hier aber einschränkend. Und wenn man von der Norm abweicht, wird das bei Frauen strenger geahndet als bei Männern. Aber das ist ja generell bei Frauen so: Wenn sie Einfluss und Macht anstreben, wird das kritisch beäugt. Bei älteren Frauen ist das noch viel ausgeprägter – auch weil sie alte Rollenbilder selbst noch anwenden.
Die gute Nachricht?
Ich glaube, es ist eine Frage der Zeit. Engagements wie das der Klimaseniorinnen tragen aktiv dazu bei, neue Rollenbilder zu propagieren. Sie werden zudem auch von vielen jüngeren Generationen respektiert. Aber die Doppelbelastung durch Alters- und Geschlechterbilder bleibt. Umso wichtiger ist es, stereotype Zuschreibungen aktiv zu hinterfragen.

Weiterführende Informationen

Prof. Dr. Klaus Rothermund

Prof. Dr. Klaus Rothermund hat seit 2004 einen Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena inne. Unter anderem leitet er Forschungsprojekte über den Einfluss von Altersbildern auf die Entwicklung und hält darüber auch Vorträge.

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