Die Beziehung zwischen den Generationen – Projekte und Utopien, ein Bericht
Wissenschaft & Generationenforschung
5. Januar 2011
Der Runde Tisch zum Thema „Generationenprojekte“ wurde im Rahmen der Lancierung der Sommeruniversität an der Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit (EESP) Lausanne organisiert.
Zu Beginn werden zwei intergenerationelle Projekte vorgestellt: „Popaie“, das von der Kinderkrippe „Clos-de-Bulle“ in Lausanne initiiert wurde, und ein weiteres im Altersheim „La Terrassière“ in Genf lanciertes Projekt. Zielsetzung: langfristige Beziehungen zwischen den Generationen aufbauen.
Die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Generationenbeziehungen wird von Christian Dubuis aufgeworfen, der das Projekt „Popaie“ ursprünglich konzipiert hat. Aus diesem Grund wurden die gesellschaftlichen Auswirkungen eines solchen Projekts auch an eben diesem 1. Projekt untersucht.
- Folgende Ergebnisse führen zum Schluss, dass Relevanz durchaus gegeben ist:
- Die Projektteilnehmer assoziieren das Alter weniger oft mit dem Tod.
- Die Projektteilnehmer assoziieren das Alter weniger oft mit dem Verlust von Fähigkeiten.
- Die Eltern der Kinder sowie auch die Senioren bauen Vertrauen auf.
- Mehrere Arten von Solidaritätsverhalten bilden sich heraus:
- Solidarität von Alt zu Jung.
- Horizontale Solidarität: Die Älteren helfen sich gegenseitig.
- Solidarität von Jung zu Alt.
Alain Jenny, soziokultureller Animateur, präsentiert das Projekt „Histoire de Home“, das im Heim „La Terrassière“ in Genf durchgeführt wurde. Aus einem gemeinsamen Bestreben heraus haben sich Personen, die sich mit der Ausbildung im medizinisch-sozialen Bereich befassen, sowie Personen, die direkt in diesem Feld tätig sind, in einem Verein zusammengeschlossen: „AlliÂges“ setzt sich zum Ziel, in Altersheimen und auf Ebene von gerontologischen Abteilungen und Dienstleistungen grundsätzliche Überlegungen zu begleiten sowie innovative gerontologische Vorhaben zu fördern.
Alain Jenny stellt zwei einander ergänzende Projekte vor, die beide im Heim „La Terrassière“ durchgeführt wurden/werden: „Le home se raconte“ bietet allen Beteiligten – den Bewohnern, den Angehörigen und den im Heim Arbeitenden – die Möglichkeit, auszudrücken, was sie bewegt: Sorgen, Wünsche und Gefühle im Zusammenhang mit dem Leben im Heim. „Raconter le home“ hingegen thematisiert den Blick von aussen auf das Heim, gibt Quartierbewohnern und Ladenbesitzern das Wort; diese Eindrücke von Aussenstehenden werden in einem Film zusammengefasst.
Anschliessend wird die Diskussionsrunde zum Thema „Zerfall der Generationenbeziehungen“ eröffnet. Geht die Solidarität in der Gesellschaft tatsächlich verloren?
Laut Cornelia Hummel von der Universität Genf, Fachbereich Soziologie lässt sich auf Ebene der Familie feststellen, das die Generationenbeziehung nicht zerfällt: Die Familie verhält sich nach wie vor sehr solidarisch. In der Gesamtgesellschaft ist es komplizierter, das Phänomen überhaupt nur zu untersuchen: Es gibt keine Zahlen, keine Vergleiche mit früheren Zeiten, die wirklich belegt werden könnten.
Streng genommen gibt es die „Beziehung zu“ und die „Beziehungen zwischen“. Wenn man z.B. vom Generationenvertrag sagt, das er grossen Belastungen ausgesetzt ist, insbesondere wegen der demografischen Entwicklung, dann spricht man die eher symbolischen Beziehungen zwischen den Generationen an. Konkret stellt man hingegen fest, dass die Personen eine Beziehung zueinander haben. Es gilt zu beachten, dass die „Beziehungen zwischen“ und die „Beziehung zu“ grundlegend miteinander verbunden sind: Wenn die „Beziehungen zwischen“ sich verändern, dann hat dies Auswirkungen auf die „Beziehung zu“.
Für Olivier Taramarcaz von Pro Senectute geht es in erster Linie um die Beziehungen zwischen den Generationen. Die Ab- bzw. Ausgrenzung infolge der Schaffung sozialer Systeme (z.B. auch Institutionen) ist ein aktuelles Phänomen. Es gibt Abgrenzungen verschiedener Art: zwischen Kulturkreisen, zwischen Generationen usw. Dass sich die Generationen begegnen, wird so bestimmt nicht gefördert. Bereits seit einiger Zeit finden Aktivitäten statt, die sich mit dem Platz älterer Menschen in der Gesellschaft beschäftigen. So befasste man sich 1993 mit genau diesem Thema und auch damit, dass ältere Menschen es brauchen, gesellschaftlich nützlich zu sein. Mit dem „Internationalen Jahr der älteren Menschen 1999“ («Eine Gesellschaft für alle Generationen“) rückt die Vorstellung der Reziprozität in den Vordergrund (in Frankreich wird z.B. der „Prix Chronos“ ins Leben gerufen).
Die Gesellschaft verfolgt vermehrt den Ansatz der Citoyenneté und des Zusammenlebens. Die Zukunft wird mit Gemeinschaftssinn anvisiert und ein entsprechendes Bewusstsein macht sich breit, wie man am Beispiel von Umwelt und Ökologie feststellen kann. Man ist besorgt um die Welt, die künftigen Generationen überlassen wird. Man stellt sich die Frage nach der Erinnerungspflicht: Soll man weitergeben, was man erlebt hat, damit die kommenden Generationen nicht die gleichen Fehler noch einmal machen? Die Jungen werden dann ihre Entscheidungen gestützt auf das treffen, was sie aus der Vergangenheit überliefert bekommen. Und eben daraus entwickelt sich die Fragestellung nach den Beziehungen zwischen den Generationen.
Für die Projektträger Christian Dubuis und Alain Jenny gibt es mehrere Gründe, die ältere Personen dazu bewegen, an einem Generationenprojekt teilzunehmen oder sich für dessen Umsetzung einzusetzen:
- Die meisten fühlen sich nicht gebraucht; sie möchten weiterhin ihren Beitrag an die Gesellschaft leisten.
- Andere möchten den künftigen Generationen ihr Wissen vermitteln bzw. es mit ihnen teilen: Die Gesellschaft als Ganzes entwickelt sich über den Transfer von Lebenserfahrung weiter.
In der Praxis ist bei den laufenden Projekten die Rollenaufteilung wichtig. Die Älteren bilden zwar einen unverzichtbaren Teil des Projekts, jedoch dürfen sie auf keinen Fall die Rolle der Fachverantwortlichen übernehmen. Deshalb wird ein Leitbild ausgearbeitet, in der die Aufgaben klar definiert und auseinander gehalten werden.
Hervorgehoben wird auch, dass mehrere Generationen in solche Projekte einbezogen werden müssen, nicht nur Ältere und Kinder. Auch Personen mittleren Alters sollten bei der Umsetzung von Generationenprojekten dazu stossen. Zeitgefühl weitergeben ist ein wichtiges Element, denn jeder Mensch lebt in seiner ganz persönlichen Zeit, auch wenn er an einer Gruppenidentität teilhat. Natürlich sprechen mehrere Punkte dafür, insbesondere Generationen zu wählen, die an den Extrempunkten ihrer Lebenszeit stehen, u. a. auch die Tatsache, dass diese Generationen Gemeinsamkeiten haben, z.B. freie Zeit, auch dass sie keine Zeit auf dem Arbeitsmarkt verbringen, dass sie zum nicht aktiven Teil der Bevölkerung gehören.
Sabine Voelin von der EESP erklärt, wie die Generationenbeziehungen im Lehrprogramm Einzug halten: Spezifische KURSE (OASIS) tauchen an den sozial und pädagogisch ausgerichteten Fachhochschulen auf. Stellt sich nun die Frage der Umsetzung, z.B. auf Ebene der Tätigkeit der Sozialarbeiter, sowie diejenige des wirtschaftlichen Nutzens.
Wirtschaftliche Faktoren bewegen die Politik dazu, Projekte in die Wege zu leiten. Oscar Tosato, Stadtrat von Lausanne nennt das Beispiel eines Alters- und Pflegeheims, das neben einer Kinderkrippe erstellt wird. Wenn diese beiden Einrichtungen dazu veranlasst werden können, künftig ein Generationenprojekt umzusetzen, dann kann es wirtschaftlich interessant werden, ihre Strukturen auf einer bestimmten Ebene zu verbinden.
Teil II – Vorträge/Diskussionsrunde anlässliche der Sommeruniversität an der “HES-SO en travail social” (20.06.-1.7.2011). Thema: „Gender und Generationenbeziehungen“
Valérie Hugentobler von der EESP macht die theoretische Entwicklung des Generationenbegriffs in Europa zum Thema. Im 19. Jh. haben Philosophen wie Comte, Cournot, Dilthey, später auch Mentré und Mannheim in ihren Bemühungen, Geschichte zu begreifen und Veränderungen in der Gesellschaft festzuhalten, den Begriff „Generation“ verwendet. Gestützt auf diese Grundlagen hat sich die Generationensoziologie entwickelt. Ab 1970 interessiert man sich weniger für die Abfolge der Generationen als vielmehr für ein mögliches Neben- und Miteinander dieser Generationen, eine Fragestellung die eng mit dem soziodemografischen Wandel in Zusammenhang steht.
Valérie Hugentobler weist darauf hin, dass der Generationenansatz an gewisse Grenzen stösst, denn:
- Es handelt sich um ein eher schwammiges Konzept. Für den Begriff „Generation“ bestehen vielerlei Definitionen und Interpretationsversuche. Es ist deshalb schwierig, ihn klar zu bestimmen und eindeutig zu verwenden.
- Der Generationenansatz verschleiert tendenziell die Auseinandersetzung mit der sozialen Ungerechtigkeit.
- Die Geschlechterfrage wird oft nicht gestellt. Dabei sollte sie immer und überall mit einbezogen werden (die Rolle der Frau beispielsweise in den Generationenbeziehungen).
Pascale Bruderer Wyss wirft einen Blick zurück auf ihr Präsidialjahr als Nationalratspräsidentin und unterstreicht noch einmal, dass ihr sehr viel daran liegt, die Generationenbeziehungen zu fördern. In ihren Augen wird das Thema leider von den Medien zu wenig beachtet, und wenn die Medien sich damit beschäftigen, dann tun sie es aus einem negativen Blickwinkel (Beispiel: Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt) heraus.
Léa Couturier, couturier@eesp.ch
Sandrine Crot , scrot@eesp.ch
Studentinnen der EESP Lausanne
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