Neues Generationenwohnen – Das moderne Stöckli
Generationenwohnen , Wissenschaft & Generationenforschung , Zusammenleben, Nachbarschaft & Quartiere
2. November 2011
Funktioniert Generationenwohnen? Und wenn ja, wie muss das Zusammenleben organisiert werden? Das Generationenwohnen auf dem Prüfstand.

Das Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Entsprechend ist das Recht auf angemessene Wohnformen in der Bundesverfassung verankert. Doch wie verändern sich die Wohnformen im Zuge von demographischen und gesellschaftlichen Entwicklungen? Ziehen ältere Menschen wieder zu ihren Familien ins „Stöckli“ oder bilden sie intragenerationelle Wohngemeinschaften? Können Generationen mit unterschiedlichen Bedürfnissen überhaupt zusammenwohnen? Und wenn ja, wie muss das Zusammenleben organisiert werden? Diese und andere Fragen wurden an der vom Forum für Universität und Gesellschaft organisierten Veranstaltung zum Thema Generationenwohnen erörtert und diskutiert.
Alle(s) beisammen beim Generationenwohnen
Mit dem Ausspruch «Früher war alles besser», begann Regula Rytz ihre Eröffnungsansprache. Früher wohnten die Generationen verträglich unter einem Dach, heute ist der Mehrgenerationenhaushalt ein Auslaufmodell. In der Zeit des Individualismus und des demographischen Wandels stellt sich nicht nur die Frage nach Heimat, sondern auch: Wie organisieren die Generationen ihr Zusammenleben über die Zeit, welche Wohnformen haben Zukunft? Wie viel Einsamkeit ist förderlich, wie viel Gemeinsamkeit erwünscht? Verena Steiner vom Bundesamt für Wohnungswesen beantwortete solche und ähnliche Fragen aus Sicht der Betagten. Alterswohnungen müssen hindernisfrei sein und finanziell tragbar. Sie müssen nah sein an öffentlichen Verkehrsmitteln und Dienstleistungsangeboten; zudem müssen soziale Kontakte problemlos möglich sein. Sie betont aber auch, dass der Alterungsprozess individuell und abhängig von Gesundheit, sozialem Kontext und finanziellen Verhältnissen verläuft – die Alters-Hausgemeinschaft ist deshalb nur eine Option von vielen.
Von der Vision zur Realität
Margareta Hehl und Barbara Zoren haben mit acht Gleichgesinnten das scheinbar Unmögliche möglich gemacht und damit den Sprung aus der Theorie in die Praxis geschafft. 2001 haben sich drei Ehepaare und vier Einzelpersonen dazu entschieden, den dritten Lebensabschnitt gemeinsam zu gestalten und zusammen ins Stürlerhaus am Altenberg einzuziehen. Dort teilen sie Raum für Begegnungen, Mahlzeiten, Sitzungen, Diskussionen, Kinoabende und Theaterveranstaltungen. Jeder hat seine Aufgaben und es herrschen demokratische Spielregeln: «Wichtig ist uns Gleichberechtigung und gegenseitige Akzeptanz, aber auch eine angemessene Streitkultur», waren sich die beiden Frauen in ihrem Vortrag einig. Die Hausgemeinschaft lebt davon, dass jeder und jede einen aktiven Beitrag leistet und man sich gegenseitig unterstützt, alle aber auch ihren Freiraum geniessen.
Das Projekt ist animierend – Nachfolgeprojekte sind bereits in Planung. Dass Alters-WGs auch mit geringeren finanziellen Mitteln realisiert werden können, zeigen Beispiele aus dem «Verein andere Wohnformen». «Wichtig ist vor allem Wille und Initiative», so die Referentinnen des Stürlerhauses.
Wohn-Symbiose der Generationen
Aber nicht nur intragenerationell soll sich gegenseitig geholfen werden, sondern eben auch über die Generationengrenzen hinweg. Mark Würth, Leiter Stadtentwicklung Winterthur, griff deshalb die Thematik des intergenerationellen Wohnens auf und stellte sich die Fragen: Wie soll eine solche Durchmischung überhaupt aussehen und auf welcher Ebene soll sie stattfinden? Was sind die Implikationen für die Stadtentwicklung? Auch er möchte das altersgerechte Wohnen fördern und ein altersgerechtes Wohnumfeld schaffen. In der Generationendurchmischung – sei es in Quartieren, Stadtteilen oder Gebäuden – sieht er grosses Potenzial, das bei der Entwicklung einer Stadt unbedingt berücksichtigt werden muss. Jürg Altwegg brachte als konkretes Beispiel das Projekt «Giesserei – das Mehr-Generationen-Haus» in Winterthur ins Gespräch. Realisiert werden soll ein Quartier mit 164 Wohnungen unterschiedlicher Grösse. Gemeinschaftsräume, genügend Grünfläche und viele Begegnungszonen, wie beispielsweise die «Pantoffelbar» im Dachgeschoss oder der Waschsalon mit Tageslicht schweben den Projekt-Initiatoren vor. Einziehen in die «Giesserei» sollen junge Familien, Berufstätige und Betagte – Ziel ist es, die Demographie der Schweiz abzubilden. «Die Durchmischung steht bei uns an oberster Stelle. Es geht darum, dass Generationen zusammenarbeiten und sich gegenseitig helfen», erläuterte Altwegg die Beweggründe des «Giesserei»-Projektes.
Auch Franjo Ambrož von Pro Senectute Kanton Zürich stellte ein Beispiel einer generationsübergreifenden Wohnpartnerschaft vor. Die Idee des Projektes «Wohnen für Hilfe» in Zürich basiert auf einem Tauschprinzip zwischen Studierenden und Betagten. Ältere Menschen bieten Studierenden Wohnraum und werden in Form von Dienstleistungen und Hilfestellungen von den jungen Menschen entschädigt: Eine Stunde Hilfe pro Monat plus Nebenkosten gegen 1 m2 Wohnfläche sind die Rahmenbedingungen dieses gleichzeitigen Wohn- und Arbeitsverhältnisses. Schachspielen für ein Dach über dem Kopf – eine Win-Win-Situation für beide Parteien. Neben den finanziellen Anreizen ergibt sich auch auf immaterieller Ebene ein generationenübergreifender Nutzen. «Ziel ist es, auf beiden Seiten die Lebensqualität zu verbessern, das gegenseitige Verständnis zu fördern und den Erfahrungs- und Wissensaustausch zu verbessern», so Ambrož. Das Projekt führt aber auch zu Kopfzerbrechen: Ebenso wie die Mieterinnen und Mieter gleichzeitig als Arbeitnehmer agieren und somit steuerpflichtig werden, sind umgekehrt die Vermieterinnen und Vermieter mit ihrer Funktion als Arbeitgeber zu Abgaben an die Sozialversicherungen verpflichtet. Dies führt zu einem administrativen Mehraufwand, der abschreckt. Doch es wird trotz bürokratischer Hürden weiter getauscht: Das Nachfolgeprojekt im Kanton Zürich ist gerade angelaufen und wird unter Einbezug von freiwilligen Mitarbeitenden bis November 2013 fortgeführt.
Die erste Schwerpunktveranstaltung des Generationen-Projektes hat deutlich gemacht: Veränderungen in den Generationenbeziehungen haben bedeutende Implikationen auf aktuelle und zukünftige Wohnformen. So vielfältig die Bedürfnisse sind, so breit ist auch der Fächer an Möglichkeiten. Daheim oder im Altersheim? Allein oder gemeinsam? Inter- oder intragenerationell? Nicht nur Menschen in fortgeschrittenem Alter sind mit diesen Fragen konfrontiert. Auch Angehörige oder Familien müssen sich damit auseinandersetzen und sind immer wieder gefordert nach individuellen Lösungen suchen.
Gastbeitrag von Anina Lauber und Maja Hornik, Forum für Universität und Gesellschaft, Universität Bern
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