Die sorgenvolle Jugend
“Die Vorstellung eines jungen Menschen als wild und ungezähmt schien mir etwas aus der Zeit gefallen. […] So leicht und hoffnungsvoll fühlt sich das Jungsein nicht mehr an”, schreibt der 24-Jährige Finn Schlichenmaier Ende Oktober im Magazin. Zu vertrackt seien die Probleme, die seiner Kohorte beschert seien, zu schwer laste die Zukunft auf deren Schultern.
Es steht nicht gut um die Zuversicht der heutigen Jugendlichen. Das zeigen auch diverse Studien wie der Generationenbarometer 2021, welcher vom Berner Generationenhaus in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Sotomo erarbeitet wurde: 42 Prozent der 18- bis 24-Jährigen gaben an, dass es ihnen an Hoffnung fehlt, wenn sie an die Zukunft denken. “Das Generationenversprechen, wonach jede neue Generation bessere Lebensbedingungen vorfindet als die vorangegangene, scheint erloschen”, heisst es im Bericht. Die Hauptgründe dafür sind: Der Zustand der Natur, vermehrter Leistungsdruck und der gesellschaftliche Umgang miteinander.
Die Sorgen der Jugendlichen wurden auch im Rahmen des Credit Suisse Jugendbarometers 2022 erforscht. Für die Studie werden jeweils rund 1000 16-bis 25-Jährige in den USA, Brasilien, Singapur und der Schweiz befragt. Hierzulande sorgen sich die jungen Menschen primär um die Zukunft der Altersvorsorge. 44 Prozent der Befragten geben an, dass sie diese als eines der fünf grössten Probleme des Landes ansehen. An zweiter Stelle folgt die Klimaerwärmung; aus aktuellem Anlass sind zudem die Sorgen um den Benzin- und Erdölpreis sowie die Versorgungssicherheit gross. Weiter ist fast ein Drittel der Befragten der Meinung, es stehe schlecht um die Schweizer Demokratie.
Eine repräsentative Jugendstudie der Vodafone Stiftung zeichnet in Deutschland ein ähnliches Bild: 86 Prozent der 14- bis 24-Jährigen machen sich dort Sorgen um ihre Zukunft. Obwohl die Mehrheit der jungen Menschen (66 Prozent) ihre Generation als eine wahrnimmt, die politisch etwas verändern möchte, hat weniger als ein Drittel (29 Prozent) das Gefühl, Politik beeinflussen zu können. Drei Viertel (75 Prozent) erleben die deutsche Demokratie als zu schwerfällig, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu lösen. Nur acht Prozent haben die Hoffnung, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen. Das Generationenversprechen scheint also auch im nördlichen Nachbarland nicht mehr einlösbar.
Der Soziologe Sandro Cattacin (59) beobachtet diese Tendenz mit grosser Sorge. Er ist Professor für Soziologie an der Universität Genf und einer der bekanntesten Jugendforscher der Schweiz. “Schon vor Covid haben wir in der Eidgenössischen Jugendbefragung YASS beobachtet, dass depressive Tendenzen zunehmen”, sagt er im Interview.
Jugendliche hegen Wunsch nach Veränderung
Globale Krisen nehmen zu, gleichzeitig lösen sich grundlegende Sicherheiten auf – das trifft die ganz Jungen besonders hart. Während die Generation Y (1980 bis 2000) noch in relativ grosser ökonomischer, sozialer und physischer Sicherheit aufgewachsen ist, sind die Jugendjahre der Generation Z (ab 1995) geprägt von Unsicherheiten – bis hin zu einer globalen Pandemie und einem erneuten Angriffskrieg in Europa. “Menschen ab 30 haben dafür gewisse private Sicherheiten – etwa in Form von fixem Einkommen, eigenen Familien, abgeschlossenen Ausbildungen oder stabilen Paarbeziehungen. Man beginnt, für andere zu arbeiten und sich um andere zu kümmern”, sagt Cattacin. Bei der Generation Z sind diese strukturellen Beständigkeiten meist noch nicht vorhanden, was das Unbehagen verstärkt.
Der Wunsch nach Veränderung ist dabei gross: Globale Protestbewegungen, etwa im Bereich der Geschlechtergleichstellung (#metoo), in Umweltfragen (Fridays For Future) oder auch im Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit (Black Lives Matter) sind omnipräsent. Die 16- bis 25-Jährigen gelten gemeinhin als “repolitisierte Generation”, hält der Jugendbarometer fest.
“In finsteren Momenten scheint es wie ein geradezu absurdes Missverhältnis von Handlungsdruck und Handlungsbereitschaft. Die Verzweiflung kann so erdrückend werden, dass man einfach etwas tun muss, um es auszuhalten”, schreibt auch Magazin-Autor Finn Schlichenmaier.
Oft fehlen jedoch die Wege, politisch etwas zu verändern: Während sich die in Deutschland formierte Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP explizit für ein Stimmrechtsalter 16 ausgesprochen hat, scheint der Weg in der Schweiz jedoch weit zu sein. Befragte, die der SP oder den Grünen nahestehen, sprechen sich zwar mehrheitlich dafür aus, bei der SVP- und FDP-Basis sind es jedoch nur acht bzw. 18 Prozent. Diesen Mai wurde die Vorlage sogar im progressiven Bern und Zürich mit 67 bzw. 65 Prozent abgelehnt.
Wie weiter?
“Grundsätzlich muss die Politik daran arbeiten, dass die Gesellschaft offener wird und dass man sich darin wohler fühlt”, resümiert Sandro Cattacin. Dazu gehören niederschwellige Massnahmen zur Velofreundlichkeit in den Städten, kulturelle Angebote zur Förderung des gesellschaftlichen Austausches und gesundheitliche Investitionen wie eine ausgebaute Suizidprävention.
Cattacin ist fest davon überzeugt, dass die Jugendlichen die Demokratie verändern werden: “Je mehr dezentrale Entscheidungen getroffen werden, desto mehr versteht man, was Demokratie ist. Da gehören Schüler:innenräte oder Studierendenorganisationen dazu.” Man müsse Freiräume schaffen, in denen Jugendliche lernen, sich einzubringen und Verantwortung zu übernehmen.
“Ich rechne damit, dass in zehn Jahren mehr Politiker als heute sehr sensibel auf Ungerechtigkeiten bei Themen wie Behinderung, Gender, Migration, Herkunft reagieren werden.” Von einem Generationenkonflikt will Sandro Cattacin nichts wissen: “Die Jugendlichen sind nicht systematisch gegen die sogenannten Boomer. Ich erlebe die Spannungen zwischen den Generationen als normal, gesund und auch konstruktiv.” So würden zum Beispiel viele Eltern weniger Fleisch essen, da ihre Kinder sie darauf aufmerksam machen. Das Erziehungsverhältnis kehrt sich teilweise um.
Das Gewicht lastet schwer auf den Schultern der Jugendlichen, oft sind sie über gewisse Themen bereits besser informiert als gewisse Entscheidungsträger:innen. Der Wille, politisch etwas zu verändern, scheint dabei so gross wie nie. Finn Schlichenmaier resümiert: “Wir sind damit beschäftigt, die Zügel in die Hand zu nehmen.”
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In der letzten Woche durfte ich gleich zwei Studien von gfs.bern von Cloé Jans & Team vorgestellt bekommen.
Easyvote politmonitor von Dachverband Schweizer Jugendparlamente DSJ: https://lnkd.in/eWrj7bJv
Credit Suisse Sorgenbarometer 2022: https://lnkd.in/e7MuWX4m
Dazu kommt der im September erschienene Jugend-Sorgenbarometer: https://lnkd.in/erHPi6qz
Alle Berichte zeigen wenig überraschendes: Klima/Umwelt ist die grösste Sorge – nicht mehr nur bei den Jungen, sondern generell. Die Dauerbrenner AHV und Gesundheit bleiben, Energie nimmt nun im Sorgenbarometer klar zu.
Meine Take-Outs:
💡 Jugendliche sorgen sich um die AHV aber interessieren sich nicht dafür.
💡 Zu den Sorgen ums Klima kommen auch Sorgen um den Benzinpreis
💡 Wir müssen aufpassen, dass die GenZ (und bald Gen Alpha) nicht die Hoffnung verliert für ihre Zukunft. Ein Artikel von Anne-Sophie Keller dazu: https://lnkd.in/eRCMivVq )
💡 Sorgen tut sich noch schnell jemand, aber wie ist es, wenn es um unser eigenes Geld und unseren Wohlstand geht? Sind wir dann bereit, Anpassungen zu machen?
Ich mache seit meinem Tag 1 in der Politik Energiepolitik. Sorgen alleine genügt einfach nicht – wir müssen handeln und einen guten Mix zwischen Vorschriften und Anreizen finden.
Sehr spannender Artikel, der aufzeigt, dass die Jugend von heute demokratiekritischer ist als die vorherigen Generationen. Das hängt vielleicht auch davon ab, dass Jugendliche keine Weltkriege und autoritäre Staatsformen direkt miterlebt haben und schon immer in einer Demokratie leben. Dies führt dazu, dass Viele garnicht wissen was es heisst ohne Demokratie zu leben und sie daher als selbstverständlich empfinden. Andererseits sind sie vor Allem gegenüber traditionellen politischen Gefässen kritischer und wollen wirkliche Veränderungen, die meist durch die bisherige “Politik” nicht kamen. Sie benötigen neue Gefässe und Formen der politischen Teilhabe.