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Keine Angst vor Generationenkonflikten – Konflikte sind normal!

Ein Beitrag von Franziska Feller, Yvonne Hofstetter, Gerlind Martin und Noa Zanolli

Gesundheit, Sport & Bewegung , Zusammenleben, Nachbarschaft & Quartiere

16. Dezember 2022

Wenn Menschen zusammenarbeiten, ein Projekt realisieren oder im Alltag zusammenleben, kann es zu Auseinandersetzungen, selbst zu Konflikten kommen. Auch wenn eine Gruppe das Gleiche will, denken und handeln ihre Mitglieder oft unterschiedlich. Erst recht, wenn sie verschiedenen Generationen angehören und also je andere Werte, Normen und Bedürfnisse haben. Dieser Beitrag von der Altersmediation-Gruppe altersmediation-bern.ch wirbt fürs Miteinanderreden und dafür, mit Konflikten konstruktiv und kreativ umzugehen.

Konflikt und Streit zwischen Generationen (Frauen)

Eine andere Sicht auf Konflikte

Wo immer Menschen zusammenleben und zusammenarbeiten, sind Konflikte normal. Nicht Konflikte sind das Problem, sondern die Art und Weise, wie wir mit ihnen umgehen. Konflikte sind nicht das Ende der Kooperation, sondern ihr Anfang. Diese Sichtweise widerspricht unserer Alltagserfahrung. Wird sie jedoch akzeptiert, so steht dem konstruktiven Umgang mit Konflikten kaum mehr etwas im Weg, auch wenn der Weg zuweilen steinig sein mag. Konstruktiv mit dem Konflikt umzugehen, heisst für die Beteiligten: Herausfinden, wem was und weshalb von Bedeutung ist. Zum Beispiel: Was ist mir wichtig, und welches Ziel haben die anderen? Wie erreichen wir das Ziel am besten, und wie kommen wir alle auf unsere Rechnung? Auf welchen Grundlagen basiert unsere Kooperation, und wie können wir am selben Strick ziehen?

Dass bei der Zusammenarbeit und im Zusammenleben von Personen verschiedener Generationen Konflikte auf unterschiedlichen Werten, Normen und Bedürfnissen beruhen, leuchtet ein. Die Sprache von älteren Menschen unterscheidet sich oft von derjenigen der jüngeren Generationen, und nicht selten handeln alle Beteiligten aufgrund stereotyper Bilder der jeweils anderen Generation. So wird oft die Chance verpasst, genau hinzuhören und über Dinge zu verhandeln, die anfangs unmöglich erscheinen. Wenn das Miteinanderreden aber gelingt, können die Stärken, Fähigkeiten und das Engagement der Jüngeren und der Älteren wirksam zusammengebracht und eingesetzt werden.

Auseinandersetzungen über unterschiedliche Werte sind in allen zwischenmenschlichen Beziehungen häufig, ganz unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Generation. Es lohnt sich deshalb, genauer hinzuschauen, wie wir üblicherweise mit Konflikten umgehen, und wie wir dies kreativ tun können.

Wenn Kleinigkeiten das Zusammenleben belasten – Beispiel Wohnprojekte

Das Zusammenleben von Personen unterschiedlicher Generationen im selben Haus oder in enger Nachbarschaft kann sehr bereichernd sein – Stärken und Schwächen können sich ergänzen, unterschiedliche Unterstützungsbedürfnisse können untereinander abgedeckt werden. Diese gewinnbringende Verschiedenheit birgt auch Tücken. So lieben es z.B. manche jungen Menschen, bis in die Nacht aktiv zu sein und das Leben zu geniessen; die Morgenstunden sind für sie oftmals hart oder werden wenn möglich verschlafen. Anders ergeht es älteren Menschen: Ihnen gelingt es oft nicht mehr, bis zu später Stunde wach zu bleiben, sie sind jedoch bereits früh wieder auf den Beinen.

Dieses zeitlich verschobene Ruhebedürfnis sowie andere ähnliche Themen können zu Differenzen führen, die oft tabuisiert werden. «Wäge däm gan ig ämu nid ga usrüefe.» … und der Stachel bleibt erhalten. In jedem Wohnprojekt ist es wichtig, den offenen Austausch untereinander aktiv zu pflegen und Möglichkeiten zu schaffen, um auch Kleinigkeiten zu deponieren, sie ernst zu nehmen und dafür gemeinsam Lösungen zu suchen.

Gängige Konflikt-Reaktionen

Konflikte sind mit Gefühlen verbunden

Der Konflikt beginnt, wenn das, was uns wichtig ist, was wir denken, fühlen und wollen von andern nicht anerkannt wird. Wir fühlen uns behindert, blockiert. Besonders in Generationenkonflikten können Norm- oder Rollenerwartungen aufeinanderprallen. Und weil wir denken, die Andern könnten anders handeln, wenn sie nur wollten, und weil ihr Verhalten unsere Erwartungen enttäuscht oder uns persönlich verletzt, empören wir uns. Wir erleben Ärger, Wut, Kränkung, Ohnmacht, Trauer oder Scham. Wir machen dicht. Wir knallen durch. Wir werden blind. Es verschlägt uns die Sprache. Jetzt stecken wir in einem Konflikt, auch dann, wenn die Andern das nicht so sehen oder erleben. Manche Konflikte treten offensichtlich an den Tag, manche schwelen unerkannt. Das sind nicht die einfacheren, denn oft verursachen sie bei einem oder mehreren Beteiligten Kummer und Schmerz.

Konflikte sind schmerzhaft

Häufig verneinen die Beteiligten, dass ein Konflikt besteht, und sie vermeiden eine Auseinandersetzung darüber. Denn viele Menschen verbinden mit Konflikten schmerzhafte Erfahrungen.

Die anderen sind schuld

Eine weitere Reaktionsweise ist die Schuldzuweisung, die gar zum Ausschluss des angeblichen Sündenbocks führen kann. Eine Zeit lang mögen solche Umgangsweisen Entlastung bringen, doch zu einer guten Kooperation führen sie selten.

Konflikte eskalieren

Konflikte entwickeln häufig eine Dynamik der Eskalation: Verhärtung, Polarisierung bis zur Polemik und zum rachsüchtigen Handeln. Wir sprechen dann von «Taten statt Worten».

Wenn die Führungsfrage zum Konfliktanlass wird – Beispiel Erzähl-Cafés

Wer hat die Führung: die erfahrenere oder die effizientere Person? Insbesondere in kleineren Projekten wie Erzähl-Cafés oder generationengemischte Spielnachmittage können unklare Zielsetzungen oder Abläufe zu Irritationen oder auch Meinungsverschiedenheiten führen, die böses Blut und Wut hinterlassen.

Unabhängig von Alter und Erfahrung sollten in jedem Projekt die Verantwortlichkeiten und Abläufe geklärt sein. Ansonsten kann es besonders in generationengemischten Projektgruppen zu unguten Dynamiken kommen. Teilweise wagen es jüngere Personen aus Respekt vor dem Alter nicht, ihre Meinung zu äussern. Die nicht offengelegte Meinungsverschiedenheit kann zu einem Konflikt führen. Klare Strukturen wirken dem entgegen.

Wenn unklar wird, wer die Grenzen setzt – Beispiel Win3

Win3-Seniorinnen und -Senioren sind sowohl von den Lehrpersonen als auch von den Schülerinnen und Schülern sehr geschätzt. Sie bieten zusätzliche Unterstützung: Zwei Hände mehr, um zu helfen, zwei Ohren mehr, um zuzuhören, und zwei Beine mehr, um einzuschreiten. Die Team-Zusammensetzung und Kommunikation von Lehrperson und Win3-Senior*in ist entscheidend dafür, wie gut die Zusammenarbeit ist. So braucht es einen offenen Umgang mit unterschiedlichen Haltungen um Grenzsetzungen: Wie unruhig darf es in einer Klasse sein? Welche Ausdrücke sind ok, und wo wird eingeschritten? Was dürfen die Kinder von den Lehr- und Unterstützungspersonen fordern, und wo gibt es klare Grenzen?

Gleiches gilt auch für die Rollenverteilung: Darf eine Win3-Senior*in einschreiten, auch wenn für die Lehrperson die Situation noch unproblematisch ist? Wie geht das Team mit unterschiedlichen Autoritäten um, und wie wird dies den Kindern kommuniziert? Welche Abmachungen braucht es untereinander, damit sich eine allenfalls junge, noch wenig erfahrene Lehrperson nicht von einer erfahrenen Win3-Person in ihrer Autorität untergraben fühlt?

Konstruktiv mit Konflikten umgehen

1. Eskalation vermeiden

Um Schuldzuweisungen und Eskalationen zu vermeiden, ist es für Projektleitende hilfreich, darauf zu achten, dass

  • alle ihre Bedürfnisse äussern können
  • unterschiedliche Wertvorstellungen und Haltungen Platz finden
  • auf die verschiedenen Zeitbedürfnisse geachtet wird.

2. Fragen klären, sich Zeit nehmen

Nicht jede Auseinandersetzung muss als Konflikt bezeichnet werden. Eine Unstimmigkeit, ein Dissens kann dazu führen, dass unterschiedliche Meinungen geklärt werden. Zur Klärung braucht es oft Zeit.

Eine Uneinigkeit kann darin bestehen, dass die Beteiligten nicht dieselbe Information zum Sachverhalt haben oder ihn anders interpretieren. Sie kann auch darin bestehen, dass die Beteiligten der Sache nicht die gleiche Bedeutung beimessen. Was ist daran wichtig, was nicht? Geht es um unterschiedliche Anliegen, die durchaus ihre Berechtigung haben? Oder bezieht sich der Dissens darauf, wer in einer anstehenden Veränderung wofür Verantwortung trägt? Wird das Projekt durch den Dissens gefährdet oder nicht? Besteht Handlungsbedarf, und wie dringend ist er? Was liesse sich sonst noch tun?

Der Dissens kann sowohl in der Zielsetzung bestehen, als auch in der Einschätzung der Wege, die zum Ziel führen.

3. Braucht es Hilfe von aussen?

Im Normalfall können Beteiligte Dissonanzen untereinander klären. Wenn sich jedoch Feindbilder verfestigen, wenn Personen abgewertet werden, wenn die Arena durch Verbündete ausgeweitet wird und sich Koalitionen bilden, spätestens dann sollten sich die Beteiligten fragen: Brauchen wir Hilfe von aussen? Könnten moderierte und klärende Gespräche in «geschütztem Rahmen» sowohl für unser eigenes Wohlergehen, als auch zum Nutzen des Projekts hilfreich sein?

Es ist kein Versagen, eine aussenstehende Person als Gesprächsleitung anzufragen, die helfen kann, den ganzen Blumenstrauss an bereichernder Unterschiedlichkeit – auch die dornigen Pflanzen –zusammenzuhalten.

Wenn Verbindlichkeit in der Freiwilligenarbeit zum Thema wird – Beispiel Gartenprojekte

Wie schön ist es doch, als Gemeinschaft einen Garten oder eine Aussenanlage zu gestalten! Je reicher die Ideen, desto bunter wird es. Sei es bei der Auswahl der Pflanzen und deren Pflege, sei es beim Benutzen der Werkzeuge usw. In generationengemischten Gruppen kommen viele verschiedene Kenntnisse, Erfahrungen und kreative Ideen zusammen. Gleichzeitig kann jedoch die Frage «Was ist Unkraut?» zu langen Diskussionen führen.

In Garten- und anderen Projekten, die von Freiwilligen getragen werden, treffen oft auch unterschiedliche Vorstellungen von Verbindlichkeit aufeinander: Für die einen gelten die gleichen Ansprüche wie an Erwerbsarbeit, zum Beispiel was die Verlässlichkeit anbelangt – für die anderen liegt der Reiz der Freiwilligkeit gerade darin, sich je nach zeitlichen Möglichkeiten und persönlichen Ressourcen zu engagieren. Die einen erreichen mit ihrem Arbeitsethos und ihrer Leistungsbereitschaft Wertschätzung und Anerkennung – den andern geht es darum, die Freiwilligenarbeit und die damit verbundenen Kontakte zu geniessen und eine Abwechslung zum üblichen Arbeits- und Familienalltag zu erleben. Legitime Bedürfnisse auf beiden Seiten! Und doch stossen die einen sich an den andern.

Wichtig ist, Verbindlichkeiten untereinander zu klären, Prioritäten festzulegen und die unterschiedlichen persönlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse transparent zu machen. Dies hilft, damit jede*r die gewünschte Wertschätzung erfährt.

Gut zu wissen: Kooperation gelingt auch über Konflikte

Konstruktiv und kreativ gelöste Konflikte sind Bausteine guter Kooperation. Die Klärung der Bedürfnisse, von Anliegen und tief liegenden Motiven, von Ängsten und Befürchtungen, führt zur gelingenden Zusammenarbeit, gerade auch bei Projekten mit dem Ziel, Generationen zu verbinden.

Gruppe altersmediation-bern.ch

Ein Beitrag der Autorinnen Franziska Feller, Yvonne Hofstetter, Gerlind Martin und Noa Zanolli von Altersmediation Bern. Ein Zusammenschluss von Mediatorinnen und Mediatoren mit Schwerpunkt Alters- und Generationenfragen.

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