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Zum Tag der Solidarität zwischen den Generationen - Was braucht es für ein solidarisches Miteinander von Jung und Alt?

Anlässlich des Europäischen Tages der Solidarität zwischen den Generationen am 29. April 2024 gibt Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello Einblick in das Umdenken, welches nötig ist, damit ein solidarisches Zusammenleben der Generationen bestehen kann. Dabei zeigt sich: Generationenprojekte fördern dieses Umdenken - sie sind Wegbereiter für ein neues Bewusstsein und gesellschaftliche Veränderungen.

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Foto: Cup of Color

In Zeiten der Unsicherheit und multiplen Krisen wächst im öffentlichen Diskurs auch die Sorge um einen zunehmenden Verlust der sozialen Kohäsion und damit verbunden auch der Solidarität zwischen den Generationen. Aktuelle Trends zeigen denn auch, dass auf gesellschaftlicher Ebene wenig Berührungspunkte und mangelndes Wissen voneinander existieren, was die Gefahr eines Auseinanderdriftens birgt. Auf familialer Ebene wiederum gibt es zwar immer noch viel Generationensolidarität (z.B. familiale Care-Arbeit), aber diese kommt zunehmend an ihre Grenzen. Ein konstruktives Miteinander der Generationen von morgen ist eine dringliche Notwendigkeit und erfordert ein neues Mindset, das eine systematische Generationenperspektive für Entscheide auf sozialer, betrieblicher und politischen Ebene impliziert. Es braucht Lösungsmöglichkeiten jenseits von Konfliktdiskursen, welche folgende Grundsätze berücksichtigen:

 

  • Akzeptieren der Realität, dass wir eine Mehr-Generationengesellschaft sind und der damit verbundenen Verschiedenheit innerhalb und zwischen den Generationen. Jede Generation hat ihre Stärken und Schwächen und ihre spezifischen Vorstellungen, wie sie ihr Leben gestalten will.
  • Respekt und gegenseitige Anerkennung: Es braucht Wissen voneinander sowie die Sicherheit, dass unterschiedliche Werthaltungen nichts Bedrohliches sind, sondern ausgehandelt werden können. Unterschiedliche Werthaltungen können komplementär sein und sich gegenseitig bereichern. Die Generationenvielfalt muss genutzt werden, um zukunftstaugliche Modelle des Zusammenlebens zu finden.
  • Partizipation: Gesellschaftliche Teilhabe für alle Altersgruppen ist ein Menschenrecht. Es darf keine Diskriminierung aufgrund des Alters in Politik, Kultur, Wissenschaft und auf dem Arbeitsmarkt geben. Die Förderung von Kontakten sowohl mit Gleichaltrigen als auch Leuten unterschiedlichen Alters verbessert nachweislich das intergenerationelle Zusammenleben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
  • Gesellschaftliche Probleme nicht vorschnell als Generationenprobleme etikettieren. Die Demografisierung sozialer Probleme lenkt vom Problem ab, schafft unnötige Spannungsfelder und verhindert Lösungen. Statt Altersunterschiede sollten vermehrt ungleiche Ressourcen thematisiert werden. Jede Generation hat die Verpflichtung, alles zu tun, was in ihrer Möglichkeit steht, um das Leben und die Lebensqualität aller Generationen zu sichern. Wem dies nicht möglich ist, soll auf Solidarität und Unterstützung anderer zählen können, was vor allem zu Beginn und am Ende des Lebens zutrifft.
  • Generativität: Ältere Generationen sind aufgrund ihrer Lebenserfahrung und ihrer vermehrten Einflussmöglichkeiten verantwortlich, die ideellen und materiellen Lebensgrundlagen der Nach­kommen zu sichern. Wer gibt, soll nicht mit der Absicht geben, etwas zurückzuerhalten, sondern aus der Überzeugung heraus, dass es wichtig ist und – wie die Forschung zeigt – letztlich auch glücklich macht.

 

Die zunehmende Anzahl von intergenerationellen Projekten vor allem seitens der Zivilgesellschaft kann als Zeichen eines neuen Bewusstseins für die Problematik interpretiert werden. Es bleibt jedoch noch viel zu tun. Und hier sind alle gefragt – Familien, Betriebe, Kirchen, politische Parteien, Verwaltung, Gemeinden, Quartiere – Verantwortung zu übernehmen und mit innovativen Ideen hoffnungsvoll auf eine solidarische Mehr-Generationengesellschaft hin zu arbeiten.

Pasqualina Perrig-Chiello

Perrig-Chiello ist emeritierte Entwicklungspsychologin an der Universität Bern und beschäftigt sich während Jahrzehnten mit Alters- und Generationenfragen.

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