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Bessere Qualität der Generationenprojekte dank Konzept und Reflektion

Wie gelingen Begegnungen zwischen den Generationen in Alterszentren und Kindertagesstätten? Warum reicht es nicht, «einfach» während der Begegnungen in strahlende Gesichter der Kinder und der alten Menschen zu blicken? Professorin Simone DeVore hat intergenerationelle Begegnungen in Betreuungseinrichtungen erforscht und erklärt im Interview mit Monika Blau von Intergeneration, worauf es ankommt.

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Als Erziehungswissenschaftlerin hat Simone DeVore jahrelang intergenerationelle Begegnungen in den USA, Lateinamerika sowie im deutschsprachigen Raum an der University of Wisconsin-Whitewater (USA) erforscht. In den USA gelten Generationenprojekte im Betreuungswesen (Care) inzwischen als ein bewährtes Instrument gegen Altersstereotype und –diskriminierungen. Auch jetzt als emeritierte Professorin unterstützt sie weiterhin gerne innovative intergenerationelle Ideen in der Betreuung von Kindern und alten Menschen mit ihrem Fachwissen. In unserem Interview mit Simone DeVore stehen darum besonders Erkenntnisse im Mittelpunkt, die die Qualität der Projekte verbessern helfen.

 

Sie setzen sich sehr dafür ein, dass den intergenerationellen Begegnungen, die zwischen Kindern und alten Menschen in Betreuungseinrichtungen durchgeführt werden, von Beginn an ein Projektkonzept zugrunde liegt, das Ziele und Massnahmen näher beschreibt. Was sind Ihre Beweggründe dafür?

Die Motivationen und Ziele der Initianten rund um die Betreuung, Pflege und Lernförderung von Kindern und alten Menschen sind oft sehr unterschiedlich. Zum einen kann eine Projektverantwortliche besonderen Wert darauf legen, dass alten Menschen mehr soziale Kontakte mit Kindern und Jugendlichen ermöglicht werden, um ihre Isolation zu vermindern. Zum anderen könnten es Betreuerinnen als wichtiger erachten, dass Kinder lernen, mit alten Menschen vertrauensvoll umzugehen, um schlussendlich Altersstereotypen zu vermeiden.

Es ist spannend, verschiedene Visionen und Werte von Initianten und Teilnehmern in Betreuungsgruppen zu erkennen und in ein intergenerationelles Projekt konstruktiv zu integrieren. Diese Entdeckungsreise kann leichter vor sich gehen, wenn Initianten wissen, welche positiven Auswirkungen und möglichen Schwierigkeiten in der intergenerationalen Forschung dazu schon hinreichend anerkannt sind. Eine Zusammenfassung von bekannten Schwerpunkten und Konzepten kann für Organisatoren ein Anstoss sein, die Prioritäten von gemeinsamen Aktivitäten mit Kindern und alten Menschen in ihrem Umfeld zu klären. Zudem ist ein gemeinsamer Austausch zwischen Betreuern, Erzieherinnen und den Angehörigen über die Interessen und Prioritäten aller Menschen, die beteiligt sind, wertvoll. Sind Ziele und Schwerpunkte in einem Konzept geklärt und abgestimmt, kann auf dieser gemeinsamen Basis die praktische Planung und Organisation der intergenerationellen Aktivitäten in den Vordergrund treten.

Durch den Austausch über Prioritäten aller Beteiligter aber auch die sorgfältige Beobachtung aller Betroffenen können die Initianten von intergenerativen Projekten wichtiges Grundwissen von Anfang an einbringen. Aus der Forschung wie auch aus den Erfahrungen in der Umsetzung ist zum Beispiel hinreichend bekannt, dass in Betreuungsstätten, in denen Kinder und alte Menschen regelmässig unter einem Dach zusammenkommen können, die Beziehungen zwischen Alt und Jung vertrauter sind, als wenn Aktivitäten sporadisch oder in fremder Umgebung stattfinden. Mit diesem Wissen kann angestrebt werden, ein neues Projekt möglichst von Anfang an innerhalb einer Betreuungsstätte umzusetzen. Ideal ist es, wenn deshalb eine Kita oder Spielgruppe innerhalb eines Alterswohnbereichs eingeplant wird.

Mehr zur intergenerativen Betreuung

Sie interessieren sich für den Generationenaustausch in Betreuungseinrichtungen? Oder spielen Sie selbst mit der Idee Begegnungen zwischen den Generationen im Betreuungsbereich umzusetzen? Dann erfahren Sie jetzt mehr über unseren Förderschwerpunkt zur generationenverbindenden Betreuung oder erkunden Sie vielfältige Projekte und weitere Beiträge in unserer Themenübersicht.

Auch der Beobachtung und Reflektion der Wirkungen und der erreichten Ziele messen Sie einen grossen Stellenwert bei. Warum sollte darauf ebenfalls nicht verzichtet werden? Warum reicht es nicht, «einfach» während der Begegnungen in strahlende Gesichter der Kinder und der alten Menschen zu blicken?

Anhand einer Zusammenarbeit von einer Kita und einer Alterseinrichtung möchte ich ein Beispiel geben: In Zusammenarbeit mit der Kita und des Alterspflegeheims hat eine Gruppe von Uni-Studentinnen mit ihren Dozentinnen wöchentliche Aktivitäten mit alten Menschen und mit 3-4jährigen Kindern organisiert. Die Aktivitäten fanden jeden Montag während zwei Mal 45 Minuten in einem Turnraum der Kita statt. Durch unsere wöchentlichen Reflektionen haben wir bald gelernt, dass die Art und Weise, wie intergenerative Aktivitäten organisiert werden, einen grossen Einfluss auf die selbstinitiierte Beteiligung von Kindern und alten Menschen hat. 
Die Studentinnen bereiteten Puzzles, Bilderbücher, Bastelmaterialien und Brettspiele für die gemeinsamen Aktivitäten vor, welche fünf alte Menschen und zehn bis zwölf Kinder gemeinsam erkunden konnten. Das Hauptaugenmerk lag darauf, Interaktionen zwischen Alt und Jung zu fördern, um ein gegenseitiges Kennenlernen zu unterstützen. Während den ersten 20 bis 30 Minuten waren die Kinder mit Materialien beschäftigt und haben mit den sogenannten “Grandfriends” (ein Kunstwort aus Grandparents and Friends) gespielt – je nach Bedarf mit Unterstützung von Begleiterinnen. Die Kinder zeigten bald mehr Interesse an den Grobmotorik-Spielsachen, welche im Raum vorhanden waren als an den mitgebrachten Brettspielen. Zum Beispiel spielten die Kinder mit grossen Schaum- Bausteinen. Sie bauten Türme, welche sie dann energisch wieder zerstörten. Die alten Menschen schauten interessiert zu, beteiligten sich aber nicht aktiv an diesem Spiel. In einer Besprechung mit den Studentinnen wurde klar, dass diese die Ablenkung durch die Bausteine negativ bewerteten, weil dabei die Interaktionen zwischen Alt und Jung nicht direkt stattfanden. 
Anstatt die Bausteine zu entfernen – was als ein Lösungsvorschlag ebenfalls diskutiert wurde, fragten wir uns stattdessen: Wie kann die Beteiligung von alten Menschen bei den selbst gewählten Grobmotorik-Spielen der Kinder erreicht werden? Um den Fokus auf den aktiven Austausch zwischen den Altersgruppen zu gewährleisten, haben die Studentinnen Anpassungen am Setting vorgenommen. Zum Beispiel brachten sie passendere Stühle in den Raum, damit die alten Menschen auf Augenhöhe mit den Kindern die Bausteine in ihrer Reichweite leichter bewegen konnten. Zudem haben sie eine auf die Bedürfnisse passendere Raumaufteilung organisiert, indem sie statt drei Tische nur einen Tisch mit Spielen bereit stellten und stattdessen noch mehr Grobmotorik-Spiele wie Boden-Puzzles oder Sack-Wurfspiele im freigewordenen Raum zur Verfügung stellten.

Durch regelmässige Reflektionen konnten die Studenten dadurch das Konzept von “Engagement” eingehender erforschen. Engagement bedeutet in diesem Zusammenhang die selbstinitiierte Beteiligung und Interaktion mit anderen Menschen und Materialien. Durch Erleichterungen und Anpassungen können Projektverantwortliche den Kindern und alten Menschen Möglichkeiten schaffen, sich selbst auszudrücken. Sie sind dann nicht mehr so sehr auf die Anweisungen und Anleitungen der Betreuer angewiesen.

Welche Rolle spielt ihre empirisch gestützte, d.h. «evidenzbasierte» Forschung und Wissensvermittlung bei der Ausgestaltung von intergenerationellen Begegnungen?

Bevor ich anfing, intergenerationale Forschungsarbeit zu leisten, musste ich mich an der existierenden Forschung orientieren. Interessant ist, dass die intergenerationale Forschung von verschiedenen Disziplinen bereichert wird. Das heisst, dass Initianten, welche Begegnungen zwischen Kindern und alten Menschen ermöglichen, sich in einem interdisziplinären Bereich und einem jungen Forschungsgebiet befinden. Die intergenerationale Forschung hat seit den 1980er Jahren zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. Bei der Zusammenkunft zum Thema Altern in 1982, beschlossen die Vereinten Nationen (UN) den Internationalen Aktionsplan zum Altern. Dies war die erste Initiative zur Verbesserung von sozialen und ökonomischen Bedingungen für alte Menschen weltweit. Die anschliessende UN-Resolution für ältere Menschen von 1991 hebt fünf verschiedene Handlungsfelder hervor: Unabhängigkeit, Teilhabe, Fürsorge, Selbstverwirklichung und Würde im Alter. Diese Themen sind bis heute richtungsweisend geblieben.

Durch das steigende Bedürfnis einer ausserfamiliären Betreuung von alten Menschen, haben gleichzeitig vorschulpflichtige Kinder rund um ihre ausserfamiliäre Betreuung und Erziehung Aufmerksamkeit erhalten. Die Forschung der beiden Altersgruppen hat sich primär parallel und nicht gemeinsam entwickelt. Erst seit Anfang dieses Jahrhunderts gibt es interdisziplinäre Forschungsprojekte. Langzeitstudien und kontrollierte Studien mit mehr als 100 beteiligten Kindern und alten Menschen sind selten, da es schwierig ist, Kontrollgruppen mit ähnlichen Ausgangslagen zu organisieren.

Fallstudien und partizipative Selbststudien waren Methoden, die ich mit Studierenden gerne anwendete. Diese Methoden können in schulischen und therapeutischen Bereichen zu pädagogischen Erkenntnissen und Verbesserungen in der eigenen Arbeit führen. Partizipative Selbststudien tragen dazu bei, dass intergenerationelle Begegnungen optimal gestaltet werden können.

Folgende Unterstützungsmethoden für eine optimale Begleitung von alten Menschen und vorschulpflichtigen Kindern haben sich in meiner Forschungsarbeit als relevant erwiesen:

  • Durch Gespräche und Reflektieren sich auf die individuellen Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnisse jedes einzelnen alten Menschen konzentrieren
  • Die besten Unterstützungen identifizieren und Strategien für jeden alten Menschen anpassen (z. B. Sitzanordnungen berücksichtigen, um den Zugang zu Interaktionen mit Kindern und Lernmaterialien zu optimieren)
  • Aktivitäten während gemeinsamer Erlebnisse flexibel gestalten und anpassen, um sicherzustellen, dass sie für die Entwicklung der Kinder geeignet sind (z. B. Anpassung von Spielregeln)
  • Erweitertes Lernen fördern, indem Möglichkeiten für eine tiefere Erkundung über die geplanten Aktivitäten hinaus erkannt werden z. B. gemeinsames Erforschen von spontanen Fragen von Kindern und alten Menschen und Zeit einräumen für Gespräche über Themen, die Kinder und alte Menschen interessieren

 

Des Weiteren liegt Ihnen der Einsatz des Response Management Framework (RMF) für intergenerationelle Projekte am Herzen. Könnten Sie uns diesen Rahmen aus den USA näherbringen?

Ich denke, dass Planung und Darstellung von Rahmenbedingungen einer neuen Idee gut sind. Projektverantwortliche, die intergenerationelle Aktivitäten organisieren möchten, machen sich dadurch viele Gedanken über ihre vorhandenen Ressourcen. Gleichzeitig überlegen sie, welche Auswirkungen intergenerative Aktivitäten auf Kleinkinder, alte Menschen, Familien, Betreuende, Erzieherinnen und deren physisches und soziales Umfeld haben. Diese Art des Analysierens ist ein wichtiger Teil sowohl der Vorarbeit als auch bei der Auswertung der Ergebnisse und Wirkungen von intergenerationellen Aktivitäten.

Das Response Management Framework (RMF) für generationenverbindende Aktivitäten bietet einen forschungsbasierten Prozess für die Planung an. RMF wurde schon in vielen sozialen gemeinnützigen Gebieten in den USA angewendet. Sharon Jarrott von der University of Ohio (USA) hat vor 15 Jahren diesen Prozess für intergenerative Initiativen konkretisiert. Bei den ersten drei Phasen oder Schritten geht es ums Planen und Erlernen, was alle Mitbeteiligten denken, hoffen und befürchten. Der vierte Schritt ist dann der Umsetzung von intergenerativen Programmaktivitäten gewidmet.

Zusammenfassend geht es darum beim RMF-Konzept, Ressourcen und Bedürfnisse kennenzulernen und zu benennen. Auswertungen der Ergebnisse sind dann einfacher einzuschätzen.

Weiterführende Literatur von Simone DeVore:

Simone DeVore

Als Erziehungswissenschaftlerin hat Simone DeVore jahrelang intergenerationelle Begegnungen in den USA, Lateinamerika sowie im deutschsprachigen Raum an der University of Wisconsin-Whitewater (USA) erforscht. In den USA gelten Generationenprojekte im Betreuungswesen (Care) inzwischen als ein bewährtes Instrument gegen Altersstereotype und –diskriminierungen. Auch jetzt als emeritierte Professorin unterstützt sie weiterhin gerne innovative intergenerationelle Ideen in der Betreuung von Kindern und alten Menschen mit ihrem Fachwissen.

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