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Enkelkinder schätzen ihre Grosseltern als liebevolle und grosszügige Bezugspersonen

Der Alters- und Generationenforscher François Höpflinger nimmt ausgeprägte Unterschiede zwischen den Generationenbeziehungen innerhalb und ausserhalb der Familien wahr. Ein Interview.

Was sind für Sie die überraschendsten Ergebnisse des 2008 publizierten „Generationenberichts Schweiz“?
François Höpflinger: Wir haben nicht erwartet, dass sich die Beziehungen zwischen Grosseltern und Enkelkindern so positiv entwickelt haben. Trotz aller Diskussionen über die Individualisierung unserer Gesellschaft und die Krise der Familie haben sich die innerfamiliären Solidaritätsmuster eindeutig verstärkt. Im 21. Jahrhundert haben wir kaum noch Familienkonflikte.
Wie präsentieren sich heute konkret die Beziehungen von Grosseltern und Enkelkindern?
Höpflinger: Erstaunlicherweise nehmen auch die Enkelkinder grossen Einfluss auf die Gestaltung dieser Beziehungen. Sie schätzen ihre Grosseltern als liebevolle und grosszügige Bezugspersonen, die – anders als andere Erwachsenen – Zeit haben, nicht gestresst sind und mit ihnen diskutieren mögen. Für die Grosseltern ergibt sich auf diesem Weg eine Chance, sich wieder auf frühere Lebensphasen zurückzubesinnen, nochmals eigene Familienphasen mit Säuglingen und Kindern aufleben zu lassen, ohne jetzt aber Verantwortung tragen zu müssen. Für die alten Menschen stellt der Kontakt zu ihren Enkeln so etwas wie einen sozialen Jungbrunnen dar.
Wie dürfen Grosseltern aller Wertschätzung zum Trotz nicht auftreten?
Höpflinger: Sie dürfen sich nicht ins Privat- und auf keinen Fall ins Liebesleben ihrer heranwachsenden Enkel einmischen. Handeln sie nach dem Muster „Engagement ohne Einmischung“, fahren sie gut.
Wie intensiv sind die Kontakte zwischen den verschiedenen Familiengenerationen?
Höpflinger: Die meisten älteren Menschen, die Kinder und Enkelkinder haben, sprechen von guten Kontakten. Da viele Grosseltern heute im Ausland leben, beschränken sich direkte Begegnungen notgedrungen auf gemeinsame Ferien und Feiertage. Dafür haben die telefonischen und elektronischen Kontakte eindeutig zugenommen.
Wie rege ist der Austausch zwischen Jung und Alt ausserhalb der Familien?
Höpflinger: Eher bescheiden. In hierarchischen Verhältnissen, also in Firmen oder Sportvereinen, kommt es am ehesten zu solchen Begegnungen. Da sind beispielsweise die Sportler jung und die Funktionäre alt; oder der Vorgesetzte gehört der einen Generation an, und seine Untergebenen einer anderen. Im Freizeit- und Kulturbereich hingegen sind Kontakte unter Gleichaltrigen deutlich dominanter.
Bräuchte es mehr Anknüpfungspunkte, um den Generationendialog zu verstärken?
Höpflinger: Ich denke, eine gewisse Trennung zwischen den Generationen ist besser als zwangsverordnete Kontakte. Jede Generation hat nun mal ihre eigenen Bedürfnisse. Hochbetagte zum Beispiel kostet es sehr viel Kraft, mit Jungen zu verkehren. Was sich sicher verbessern liesse, wäre die Nutzung von Ressourcen und Kompetenzen, über die Menschen im Pensionierungsalter verfügen. Da braucht es mehr Projekte wie „Jugend Mit Wirkung“ von Infocklick.ch, wo die junge Generation mitredet und nicht nur die Alten erklären, was die Jungen zu wollen haben.
Und sonst? Welche zentralen Anforderungen stellen sich einer demografisch alternden Gesellschaft wie der unseren?
Höpflinger: Wahrscheinlich müssen wir längerfristig das Rentenalter erhöhen. Dazu muss man die Gesundheitsförderung stärken, damit die Leute länger gesund bleiben, später pflegebedürftig werden und auf diese Art die jüngeren Generationen entlasten.

François Höpflinger

François Höpflinger, 62, publizierte 2008 gemeinsam mit Pasqualina Perrig-Chiello und Christian Suter den „Generationenbericht Schweiz: Generationen – Strukturen und Beziehungen“. Er ist Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind Familiensoziologie, Demografie, Sozialpolitik und Alters- und Generationenfragen.

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