Hochbetagte engagieren sich gerne
Wissenschaft & Generationenforschung , Gemeinnütziges Engagement
19. März 2015
Obwohl alte Menschen immer mehr in den medialen Fokus rücken, halten sich gewisse gesellschaftliche Bilder nach wie vor. Eines davon lautet: Je älter jemand ist, desto passiver gestaltet sich sein Leben, desto weniger wird er gebraucht.
Foto: Kita Paradies
Der deutsche Generali Zukunftsfonds ging dieser verbreiteten Meinung auf den Grund, indem er eine Studie in Auftrag gab, die das bürgerschaftliche Engagement von Menschen ab 85 Jahren untersucht.
Ergebnisse der Hochbetagten-Studie
Im Rahmen dieser Studie befragte das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg in einem repräsentativen Querschnitt 400 Senioren im Alter von 85 bis 99 Jahren nach den Möglichkeiten und Grenzen ihrer gesellschaftlichen Teilhabe. Ferner wurden Mitarbeiter von Vereinen, Organisationen und Kirchen nach Erfahrungen im Austausch mit Hochaltrigen befragt. Das Fazit der Studie ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Es lautet: „Die Sorge um andere Menschen ist für Hochbetagte ein zentrales Daseinsmerkmal, das auch massgeblich zu ihrer Lebensqualität beiträgt.“
Drei von vier Hochbetagten geben an, „Freude und Erfüllung in tiefgehenden Begegnungen mit anderen Menschen zu finden.“ Fast die Hälfte ist überzeugt, dass ihre Lebenserfahrung für Jüngere hilfreich sein kann. Und rund drei Viertel der Befragten beschäftigen sich intensiv mit dem Schicksal nachfolgender Generationen. Konkret heisst das: Über zwei Drittel unterstützen Nachbarn im Alltag und mehr als jeder Zweite gibt Wissen an Jüngere weiter.
Wunsch nach Engagement stösst auf wenig Resonanz
Diese grosse Bereitschaft, sich für andere zu engagieren, stösst in Deutschland – und auch in der Schweiz – bisher allerdings erst in sehr begrenztem Umfang auf Resonanz. 77 Prozent der Befragten gaben an, keine entsprechende Initiative erfahren zu haben. Die an der Studie beteiligten Gerontologen sprechen von einem grossen Nachholbedarf, insbesondere angesichts des demografischen Wandels, aufgrund dessen die Anzahl hochbetagter Menschen ansteigen wird.
Nach Projekten gefragt, die den Ergebnissen der Studie Rechnung trägt, nennt Monika Steiger, Geschäftsleiterin der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie, verschiedene Kitas in der Deutschschweiz und in der Romandie, die einem Alters- oder Pflegeheim angegliedert sind Allerdings ist das Interesse an Generationenprojekten laut Steigers Beobachtungen oft einseitig, sprich, den Jungen ist weniger daran gelegen. Eine Durchmischung der Generationen, die auch Hochbetagte miteinschliesst, erachtet Monika Steiger als positiv: „Es braucht manchmal nicht viel, um diesen Austausch zu ermöglichen, manchmal reicht schon ein Kaffee, das von verschiedenen Altersgruppen besucht wird.“
Gelungenes Generationenprojekt
Eine der Kitas, die alte Menschen in ihrem Alltag einbindet, ist die Städtische Kindertagesstätte Paradies in Zürich Wollishofen, die sich im Pflegezentrum Entlisberg eingemietet hat. Laut Kita-Leiterin Christine Klumpp ergeben sich zwischen Jung und Alt an verschiedenen Orten spontane Kontakte, etwa im gemeinsamen Garten, in der Aussenanlage und im Kneippbad. Ein weiterer Treffpunkt ist der hauseigene Tierpark. Hinzu kommen aber auch gezielte Angebote für beide Generationen: „Zweimal im Monat besuchen wir einander gegenseitig. Die Kleinen, mit denen die Bewohner des Pflegezentrums spielen, sind zwischen 12 Monaten und zweieinhalb Jahre alt“, erzählt Christine Klumpp. Die Begegnung würde von den Senioren sehr geschätzt: „Ihr Lächeln sagt alles.“ Doch der Kontakt sei durchaus auch für die Kleinen eine Bereicherung, indem er beispielsweise ihre Hilfsbereitschaft fördere und das Selbstvertrauen stärke. Etwa, wenn ein kleines Mädchen zu hören bekomme: „Oh, bist Du aber eine Herzige!“. In der wöchentlichen Turnstunde, bei der sowohl Senioren im Rollstuhl als auch Kinder im Alter von zweieinhalb bis vier Jahren gerne teilnehmen, werde zudem die Hilfsbereitschaft der Kinder gefördert.
Doch ganz von selbst ergeben sich diese kostbaren Interaktionen nicht: „Es braucht jemand, der diese Begegnungen vorlebt. Es bedarf eine unterstützende Haltung und eine entsprechende Begleitung“, sagt Christine Klumpp.
Was halten Sie von intergenerativen Angeboten für Hochaltrige?
Kennen Sie andere Generationenprojekte mit Hochbetagten?
Ein Blogbeitrag der Zürcher Autorin Daniela Kuhn im Auftrag von Intergeneration
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