Intergenerative Betreuung: Der Wunsch nach einem Kulturwandel in Betreuungseinrichtungen
Generationenverbindende Betreuung , Wissenschaft & Generationenforschung
29. November 2018
Die Begegnung von Jung und Alt in Betreuungseinrichtungen bietet wissenschaftlich belegte Vorteile für beide Generationen. Die zweite Tagung zur intergenerativen Betreuung in Aarau Ende November 2018 überzeugte mit einem Strauss von Praxishilfen und artikulierte den Wunsch nach einem Kulturwandel in den Betreuungseinrichtungen.
Foto: Hanspeter Saxer/SGG-Intergeneration
Sollen ältere Menschen mit Demenz oder ADHS-Kinder an den gemeinsamen Begegnungen teilnehmen können? Wie wichtig sind Rituale, Rückzugsmöglichkeiten oder die Vor- und Nachbereitung des begleitenden Personals? Gibt es erste Richtwerte für den Personalbedarf und die optimale Gruppengrösse? Welche Bedeutung kommt dem Erleben von Selbstwirksamkeit im stark fremdbestimmten Betreuungsumfeld beider Generationen zu? Wo liegen in Lernprozessen Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die bei generationenverbindenden Aktivitäten berücksichtigt werden sollten? Dies ist nur eine kleine Auswahl von Fragen, auf die die drei Vortragenden Barbara Los, Barbara Baumeister und Florian Wernicke wissenschaftlich begründete, aber praxisbezogene Antworten gaben.
Demografische Umwälzungen erzwingen Reformen im Betreuungswesen
Die Betreuung von betagten Menschen und Kindern gehört ohne Zweifel zu den dynamischen Gesellschaftsthemen der letzten Jahrzehnte. Demografische und soziale Umwälzungen erzwingen neue Modelle, Innovationen und Reformen im Betreuungswesen. In immer mehr Städten und Gemeinden treffen Kinderbetreuungseinrichtungen auf Institutionen der Altersbetreuung. Dadurch eröffnen sich Chancen und Möglichkeiten diese Betreuungslandschaft für Jung und Alt zu nutzen. An unserem zweiten Impulsnachmittag «Intergenerative Betreuung – erfolgreich durch eine interdisziplinäre Praxisgestaltung» war das Ziel, besonders den Akteuren in der Praxis konkrete Umsetzungshilfen und auch grundlegendes Fachwissen an die Hand zu geben und damit auch erste Qualitätsstandards für eine intergenerative Betreuung zur Diskussion zu stellen. Es zeigte sich deutlich, dass der interdisziplinäre Wissensaustausch und die Zusammenarbeit zwischen Gerontologie und Entwicklungspsychologie von Kindern eine notwendige Voraussetzung für eine wirkungsvolle Umsetzung und Entwicklung einer intergenerativen Betreuung sind.
Diese Impulsveranstaltung war sicher nichts für «Betonköpfe», aber das würde auch kaum zu den Anforderungen passen, die von Akteuren einer intergenerativen Betreuung erfüllt werden müssen, um erfolgreich und nachhaltig wirken zu können. Intergenerative Betreuung setzt die Auseinandersetzung mit den eigenen Altersbildern und Stereotypen voraus und braucht die Bereitschaft zur intensiven Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg. Die rund 100 Teilnehmer, die sich jeweils zu Hälfte dem Alten- oder dem Kinder/Jugendbereich zurechneten, sahen sich gezwungen, wohl von so manchen liebgewonnenen Vorstellungen oder Gewohnheiten Abschied zu nehmen. Das dies als produktiv und bereichernd empfunden wurde, ist der Verdienst der engagiert und überzeugend auftretenden beiden Referentinnen und des Referenten.
Unterstützung für intergenerative Betreuung
Um wirklich nachhaltig in den Betreuungseinrichtungen von Jung und Alt zu bestehen, darf intergenerative Betreuung nicht nur als ein isoliertes Angebot einzelner engagierter Mitarbeiter bestehen, sondern sollte als Ausdruck einer grundsätzlichen Wertehaltung der Institution bzw. der Träger selbst gesehen und dementsprechend unterstützt werden. Dies wurde nicht nur unter dem Aspekt einer besseren Nachhaltigkeit im Vortrag eingefordert, sondern traf auch beim Tagungspublikum auf Zustimmung – ebenso der Wunsch nach fachübergreifenden Bildungsangeboten für die intergenerative Betreuung in den entsprechenden Bildungseinrichtungen.
Die Tagung vom 27. November 2018 in Aarau fand im Rahmen unseres aktuellen Förderschwerpunktes Generationenverbindende Betreuungsinstitutionen statt und wurde in Zusammenarbeit mit unserem Partner Careum Weiterbildung durchgeführt. Das Programm, die Präsentationen und Abstracts stellen wir Ihnen im Anhang des Blogbeitrags zur Verfügung.
Haben Sie Fragen oder Anregungen? Wollen auch Sie die intergenerative Betreuung voranbringen? Kontaktieren Sie uns!
Ein Blogbeitrag von Monika Blau, Intergeneration
Tagungsdokumentation «Intergenerative Betreuung»
Wir bitten Sie, die Autorenrechte zu respektieren und bei Verwendung der Präsentationen jeweils die Quelle anzugeben und uns zu informieren.
Tagungsprogramm: «Intergenerative Betreuung – erfolgreich durch eine interdisziplinäre Praxisgestaltung»
Lern- und Entwicklungsbedürfnisse von Jung und Alt (Barbara Los/ Barbara Baumeister)
Intergenerative Betreuungsangebote erfolgreich entwickeln, gestalten und begleiten (Florian Wernicke)
Hier finden Sie den Tagungsbericht der ersten Tagung zur intergenerativen Betreuung “Intergenerative Initiativen und Kooperationen” vom 14. November 2017. Beide Veranstaltungen fanden im Rahmen unseres Förderschwerpunktes “Fokus Generationenverbindende Betreuungsinstitutionen” statt.
Medienberichte:
Kast, Susanne: Cool – wir gehen zu den Bewohnerinnen und Bewohnern, intergenerationelle Begebungen zwischen Kitakindern und Bewohnenden eines Alten- und Pflegeheims, in: NOVAcura, das Fachmagazin für Pflege und Betreuung, Band 49, Heft 10, Dezember 2018, Themenschwerpunkt: Familie, im Hogrefe-Verlag
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