Altersdiskriminierung im öffentlichen Raum trifft Jung und Alt - Eine Stadtplanung für alle Generationen ist heute ein Muss
Ein Beitrag von Monika Blau
Generationen-Politik & -Dialog , Zusammenleben, Nachbarschaft & Quartiere , Partizipation, Integration & Inklusion
23. Oktober 2024
Der öffentliche Raum ist nicht für alle gleich zugänglich und nutzbar. Besonders vulnerable Altersgruppen wie ältere Menschen, Kinder oder Jugendliche stossen oft auf Hindernisse, Beeinträchtigungen und Ausgrenzung aufgrund ihres Alters. Eine generationenübergreifende und inklusive Stadtplanung kann hier Abhilfe schaffen und stellt eine wirksame Massnahme gegen Altersdiskriminierung dar.
In Städten und Gemeinden gibt es oft wenig Platz für Jugendliche.
Sobald wir die Wohnung verlassen, begeben wir uns in den sogenannten «öffentlichen Raum» einer Gemeinde oder Stadt. Wir nutzen Strassen und Wege, Plätze und Grünanlagen für unsere Mobilität, für Transport und Konsum. Öffentliche Räume sind zudem wichtige Orte für Begegnung und bieten vielfältige kulturelle, sportliche und weiteren Freizeitaktivitäten. Nicht zuletzt besteht im öffentlichen Raum die Möglichkeit zu politischer Repräsentation, Meinungsbildung und Demonstration. Wie an dieser Begriffserklärung aus einem Handwörterbuch für Stadt- und Raumentwicklung leicht zu erkennen ist, hat der öffentliche Raum, einschliesslich öffentlichen kommunalen Gebäuden wie Bahnhöfe oder Bibliotheken, eine grosse Bedeutung für die Lebensbedingungen und -qualität aller Menschen – unabhängig ihres Alters.
Wie der öffentliche Raum sich präsentiert und wie er geplant und gestaltet wird, beeinflusst erheblich das Wohlbefinden und die Gesundheit aller Menschen. Eine ungünstige Gestaltung kann die Lebensqualität und infolgedessen die Gesundheit negativ beeinflussen. Dementsprechend soll eine generationenfreundliche Stadtplanung im Vordergrund stehen und sich an den menschlichen Bedürfnissen und Ansprüchen orientieren. Als Qualitätskriterien werden vor allem eine gute Nutzbarkeit, Schutz und Aneignung des Lebensraumes durch alle Menschen betrachtet. Experten wie der dänische Stadtplaner Jan Gehl setzen sich für ein urbanes Design ein, das Fussgängern Vorrang gegenüber Autos einräumt und den Raum auf die Bedürfnisse aller Altersgruppen abstimmt. Eine sozial gerechte und generationenübergreifende Gestaltung kann massgeblich zu einer gesünderen und lebenswerteren Umgebung beitragen.
Wie beeinflusst Altersdiskriminierung unsere Gesundheit?
Diskriminierung aufgrund des Alters kann bei Betroffenen gesundheitliche und soziale Beeinträchtigungen sowie Einsamkeit und Isolation verursachen. Laut WHO haben negative Altersbilder und Diskriminierung ebenfalls Einfluss auf unsere Lebenserwartung und kann diese bis zu 7.5 Jahre verkürzen. Mehr zum Thema erfahren Sie hier.
Vulnerable Altersgruppen und ihre besondere Gefährdung im öffentlichen Raum
Besonders sogenannte «vulnerable» Altersgruppen wie Kinder, Jugendliche und betagte Menschen sind im Vergleich zu den mittleren Altersgruppen im öffentlichen Raum stärker von Diskriminierung betroffen. Diese Beeinträchtigungen führen infolgedessen in ihrer Gesamtheit zu strukturellen Benachteiligungen bei der Nutzung des öffentlichen Raums: Seien es komplexe Verkehrssituationen, grosse Gehdistanzen zu Grünanlagen oder unebene, beschädigte und steile Gehwege. Zudem sind Hitzeinseln ein wachsendes Problem. Die Gesundheit älterer Menschen und kleiner Kinder ist besonders durch die zunehmende Hitzeexposition im öffentlichen Raum aufgrund des Klimawandels gefährdet.
Diskriminierungen aufgrund des Alters im öffentlichen Raum betreffen aber nicht nur vulnerable Altersgruppen. Es können auch andere Altersgruppen benachteiligt werden. Es besteht ein generelles Risiko der Benachteiligung und Ausgrenzung für alle, die aufgrund eines hohen Zeitaufwandes, hohen Mobilitätskosten und grossen Entfernungen nur einen eingeschränkten Zugang selbst zu wichtigen Orten des täglichen Lebens haben. Die Kombination von Altersdiskriminierung mit anderen Diskriminierungsmerkmalen wie beispielsweise Geschlecht, sozialer Status oder Herkunft kann eine verstärkte Diskriminierung verursachen. Es entwickeln sich zusätzliche Wirkungseffekte die zu einer Mehrfachdiskriminierung (Intersektionalität) führen. Ältere Frauen haben zum Beispiel eine geringere Mobilität und Aufenthaltsdauer im öffentlichen Raum im Vergleich zu anderen Altersgruppen.
Das WHO-Netzwerk altersfreundlicher Städte und Gemeinden
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, schliessen sich seit 2010 weltweit eine stetig wachsende Zahl von Städten und Gemeinden dem Netzwerk «Altersfreundliche Städte und Kommunen» der WHO (UN-Weltgesundheitsorganisation) an und setzten Massnahmenpläne für altersfreundliche Umgebungen um.
Age-friendly’ environments can be defined as places where people of all ages feel involved, valued, and supported with infrastructure and services that meet their preferences, needs and aspirations. WHO Global Network of Age-friendly Cities and Communities, AFCC
In der Schweiz haben sich bislang die Städte Genf, Lausanne, Bern, Vevey und Luzern dem internationalen digitalen Netzwerk AFCC angeschlossen. Die Aktionspläne der AFCC-Mitglieder fokussieren sich insbesondere auf die aktive, sichere und selbstbestimmte Mobilität sowie für die befriedigende soziale Teilhabe und Inklusion aller Altersgruppen. Diese Ziele und Massnahmen berücksichtigen dabei die kommunalen Besonderheiten, können aber auch gleichzeitig auf spezifisches Wissen und Erfahrungen aus dem internationalen Netzwerk zurückgreifen.
Altersfreundliche Stadtplanung: Internationale Best-Practice-Beispiele
Um das Spektrum der altersfreundlichen Massnahmen für den öffentlichen Raum näher zu illustrieren, werden hier Massnahmen aus einigen Aktionsplänen des AFCC-Netzwerkes aufgeführt:
- Ruhebänke und -zonen in einem partizipativen Projekt inventarisiert und in altersfreundlichen Gehdistanzen positioniert (Göteborg, Schweden)
- Fussgängerampeln werden auf langsame Gehgeschwindigkeiten eingestellt und mit Countdown-Timer und Blindensignal ausgestattet (Vancouver, Kanada)
- Altersfreundliche Infrastruktur von öffentlichen Toiletten im ganzen Stadtgebiet (London, Grossbritannien)
- Hitzereduzierende Massnahmen (z.B. Schatten- und Trinkwasserspender) auf Transitgehwegen und bei Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs (Sacramento, USA)
- Gestaltung von alters- und demenzfreundlichen Parkanlagen in einem partizipativen Projekt (Boston, USA)
- Ausbau der Aufenthaltsräume für Fussgänger mittels temporärer Fussgängerzonen und Parklets, d.h. Erholungsbereichen auf ehemaligen Parkplätzen (Porto, Portugal)
Zugang zum öffentlichen Raum: Ein generationenübergreifendes Problem
Wenn der öffentliche Raum nicht so gestaltet ist, dass er für ältere Menschen gut zugänglich, sicher und selbstständig nutzbar ist, führt dies zu Einschränkungen. Sie bleiben eher in ihren Wohnungen und reduzieren ihre Aktivitäten ausserhalb der Wohnung auf das Notwendigste. Dies erhöht das Risiko von sozialem Rückzug und eingeschränkter körperlicher Betätigung, was zu gesundheitlichen Problemen führen kann. Kinder – und im geringeren Masse auch Jugendliche – sind auf Eltern und andere Erwachsene angewiesen, um sicher im öffentlichen Raum unterwegs zu sein und um beispielsweise Freunde zu treffen oder Bildungs- und Freizeitaktivitäten nachzugehen. Dies schränkt ihre Autonomie im öffentlichen Raum ein und beeinträchtigt ihre Fähigkeit, ihren Lebensraum eigenständig anzueignen. Vor dem Hintergrund der 1997 von der Schweiz ratifizierten UN-Kinderrechts-Konvention macht UNICEF Schweiz auf die Bedeutung des öffentlichen Raumes mit der Initiative «Planung und Gestaltung kinderfreundlicher Lebensräume» aufmerksam.
Altersdiskriminierung bekämpfen: Bedeutung von Generationenprojekten und sensibilisierter Stadtplanung
Aufgrund der demografischen Entwicklung hin zu einer alternden Gesellschaft und der zunehmenden Verstädterung wird eine sozial gerechte und diskriminierungsfreie Gestaltung des öffentlichen Raums für alle Altersgruppen zukünftig noch mehr zu einem wichtigen Aufgabenfeld der Gemeindepolitik und -verwaltung. Um die Altersdiskriminierung im öffentlichen Raum wirksam zu bekämpfen zu, ist es unumgänglich, sich mit den gesellschaftlichen Altersbildern und altersbezogenen Stereotypen auseinanderzusetzen.
Generationenprojekte für den öffentlichen Raum
- Tram-dem: Begleitung älterer Menschen im öffentlichen Verkehr, Basel
- ÖV-Begleitdienst der Stadt Zürich
- Hoppla – Generationen in Bewegung
- Spielweg St.Gallen
Projekte im Raum Zürich
- “Nimm Platz”, Aktion der OKAJ Zürich
Die Wahrnehmung und generalisierende Zuschreibung bestimmter Merkmale und Eigenschaften von spezifischen Altersgruppen führen zur Bildung von Vorurteilen, die zu benachteiligenden Verhalten führen können. Beispielsweise betrifft die wiederkehrende Diskussion über Ausgeh- und Aufenthaltsverboten im öffentlichen Raum immer wieder Jugendliche, da ihnen Littering vorgeworfen und zugeschrieben wird. Bei Massnahmen gegen Zigaretten-Littering wird oft von jugendlichen Rauchern als Zielgruppe ausgegangen, obwohl das jugendliche Alter nicht das massgebliche Merkmal ist. Aufenthaltsverbote für erwachsenen Rauchern aufgrund Zigaretten-Litterings werden hingegen nicht diskutiert. Obwohl die Nutzung des öffentlichen Raumes für das Wohlbefinden und Gesundheit dieser Altersgruppe von grosser Bedeutung ist, sind Hemmschwellen vor drastischen Einschränkungen und Massnahmen weniger hoch. Das nationale Institut für öffentliche Gesundheit in Dänemark stellt zum Beispiel eine direkte Verbindung zwischen den zunehmenden psychischen Problemen bei jungen Frauen und ihrer Vernachlässigung in der Planung des öffentlichen und städtischen Raumes her. Auch Altersbilder und Stereotypen in der kommunalen Stadtplanung führen immer wieder zu diskriminierenden Annahmen und Massnahmen bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes wie eine Studie der FHNW in einem Blogbeitrag zeigt.
Neben einer sensibilisierten Stadtplanung, die die Risiken der Altersdiskriminierung im öffentlichen Raum wahrnimmt und aktiv mit Massnahmen bekämpft, können auch Generationenprojekte hier einen wichtigen Beitrag leisten. Die WHO empfiehlt in ihrem Bericht über Altersdiskriminierung, diese am besten mit Generationenprojekten zu bekämpfen.
Weiterführende Literatur
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